*Der Beitrag spiegelt die persönliche Meinung des Autors wider und entspricht nicht zwangsweise der Meinung der VDW.

Eine verkürzte Version des Beitrags erschien im der Freitag am 17.11.2017 mit dem Titel „Standhaft bleiben“

Am 13. Oktober 2017 legte US-Präsident Donald Trump in einer Rede seine Iran-Strategie offen. Er weigerte sich, die Einhaltung des im Juli 2015 geschlossenen Iran-Abkommens seitens des Irans zu bestätigen, obwohl bis heute keine Hinweise auf eine Vertragsverletzung durch diesen Staat vorliegen. Beim sogenannten „Iran-Deal“ oder dem JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action) geht es zu-nächst darum, bezüglich der iranischen Nuklearambitionen Zeit zu gewinnen und durch das schritt-weise Mindern der Sanktionen der moderaten Regierung von Präsident Rohani die langsame Öff-nung des Irans zu ermöglichen. Bisher hat „der Deal“ den Weg zur iranischen Atombombe erfolg-reich blockiert.
Trump beklagte stattdessen die radikale Diktatur des Regimes, das Raketenprogramm des Irans, sein aggressives Verhalten gegenüber Israel und den USA und die Unterstützung von Kämpfern im Jemen, Irak und Syrien als Faktoren der Verletzung des Geistes des Vertrages. Er schob dem US-Kongress die Verantwortung für das erneute Hochfahren von Sanktionen zu. Seine Idee ist „viele ernste Fehler“ des Abkommens neu „zu fixieren“, also neu zu verhandeln. Der Iran hat dies mit Recht ausgeschlossen. Die restlichen fünf Vertragsparteien und viele Experten sehen darin eben-falls keinen Sinn, da das Abkommen heute effizient arbeitet. In einer Zeit, in der Nordkorea offen mit Nuklearwaffen droht, ist vertragliche Berechenbarkeit bei der nuklearen Nichtverbreitung auch eine Frage der internationalen Glaubwürdigkeit. Entfällt eine solide vertragliche Regelung, drohen harsche Sanktionen und damit die Isolierung des Irans oder sogar ein weiterer Krieg um Nuklear-waffen (siehe Irak). Das jetzige „Schwarze-Peter-Spiel“ ist riskant. Beschließen die USA neue Sank-tionen, werden die Reformer im Iran weiter unter Druck geraten. Europa muss sein Gewicht in die Waagschale werfen, um das Iran-Abkommen zu erhalten, den Iran schrittweise zu öffnen, ohne dass die Option auf die Atombombe zurückkehrt.

Zur Entstehung des Iran-Abkommens

Der JCPOA wurde nach jahrelangem diplomatischem Ringen im Juli 2015 zwischen dem Iran und den E3+3 bestehend aus den USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich und Deutschland geschlossen. Das ca. 160 Seiten lange, komplexe Dokument begrenzt die nuklearen Potentiale des Irans für maximal 15 Jahre. Es ist der umfassendste Vertrag im Bereich der nuklearen Nichtverbrei-tung, der je geschlossen wurde und ein interessantes Modell für künftige Vertragsverletzungen. Im Rahmen des Nichtverbreitungsvertrages (NVV) hat der Iran – wie andere Staaten auch – als Nicht-Kernwaffenstaat das Recht auf zivile Nutzung der Kernenergie. Der Iran hatte im Abkommen erklärt „unter keinen Umständen“ Nuklearwaffen zu entwickeln. Das Abkommen enthält selbst einen Mechanismus, der im Falle von Vertragsverletzungen ermöglicht die Sanktionen wieder hochzufahren. Dies ignoriert Trump. Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) überprüft auf dieser Grundlage kritische Anlagen und die anfallenden Spaltmaterialien. Gemäß dem IAEO-Generaldirektor hält sich der Iran an den JCPOA. Es ist gelungen, die Fortschritte des Irans hin zu einer Atombombe zu stoppen und in einigen Fällen sogar rückgängig zu machen. Gleichzeitig ist das Abkommen eine Verbesserung der internationalen Überprüfungsverpflichtungen von Staaten, die im Verdacht für ähnlichen militärischen Missbrauch stehen.

Bad deal“ oder „Win-Win-Situation“?

Als gelernter Geschäftsmann, dessen Kenntnisse von Außenpolitik oder gar nuklearer Nicht-Verbreitung höchst unterentwickelt sind, bezeichnet Trump den Vertrag seines Amtsvorgängers Barack Obama (wie andere Verträge auch z.B. das Pariser Klimaabkommen) als „bad deal“. Die anderen Vertragsparteien, allen voran die Europäer, haben erklärt, dass sie Trumps Vorgehen nicht nachvollziehen können. Auch andere Teile der Trump-Regierung sowie große Teile der US-Wirtschaft, die auf eine Öffnung des Marktes im Iran hoffen, sehen das Abkommen im Interesse der USA. Europäische Politiker heben immer wieder mit Recht die herausragende Rolle des Ab-kommens für die europäische Sicherheit hervor.
Die Trumpsche Verweigerung ist auch gegen die Europäer selbst gerichtet: Sie waren die ersten, die 2004 diplomatisch aktiv wurden, als der Verdacht von illegalen Aktivitäten im Iran aufkam. Die EU unter Leitung der Hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik Javier Solana, Catherine Ashton und zuletzt Federica Mogherini spielten dabei stets eine zentrale Rolle, zuletzt bei den Ver-handlungen von März 2013 bis Juli 2015, die zum Abschluss der JCPOA führten. Frederica Mogherini setzt sich auch jetzt besonders für seinen Erhalt ein. Mit Recht hebt sie die herausragende Rolle der EU hervor: „Durch Diplomatie und Dialog haben wir eine „Win-Win-Situation“ erreicht und eine gefährliche, verheerende militärische Eskalation verhindert“. Die Europäer dürfen sich diesen viel-leicht größten außenpolitischen Erfolg der letzten Jahre nicht zerstören lassen. Die Botschafter Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands sind schon in Washington tätig geworden, um im US-Kongress für den Erhalt des Abkommens zu werben.
Neben den sicherheits- und friedenspolitischen Argumenten, haben die europäischen Länder auch wirtschaftliche Interessen. In der ersten Jahreshälfte 2017 hat sich das Handelsvolumen zwischen Europa und dem Iran verdoppelt. Die iranische Regierung erwartet weitere Direktinvestitionen. Noch zögernde Unternehmen aus Europa und Asien könnten durch neue Sanktionsbeschlüsse der USA bestärkt werden. Auch die europäischen Großbanken sind nur begrenzt bereit, Geschäfte im Iran zu finanzieren. Europa muss die Iraner bestärken, ihren JCPOA-Verpflichtungen treu zu blei-ben. Aber auch kontroverse Punkte wie das iranische Raketenprogramm sollte angesprochen wer-den. Ein weiterer, wesentlicher Schlüssel zum Erfolg ist die enge Koordinierung aller JCPOA-Vertragsparteien insbesondere mit Russland und China.
Das Schicksal des JCPOA liegt allerdings nun zunächst beim US-Kongress, der in den nächsten 60 Tagen unterschiedliche Sanktionen beschließen kann: Ein Verstoß gegen JCPOA mit nur geringen direkten Auswirkungen wäre die Wiederaufnahme von Namen bestimmter US-amerikanischer und ausländischer Banken oder Firmen in die Liste der Finanzsanktionen wegen Unterstützung von Ter-roraktivitäten oder Menschenrechtsverstößen.

Droht ein neuer Handelskrieg?

Schon vor Abschluss des JCPOA hatte der US-Kongress „Sekundärsanktionen“ gegen den Iran be-schlossen: so können Personen und Unternehmen außerhalb der USA, die mit dem Iran Geschäfte in verschiedenen Bereichen (Finanz- und Bankgeschäfte, Energie- und Ölsektor, Schiffswesen, In-dustrierohstoffe etc.) machen, bestraft werden[1]. Mit Hilfe dieser „extraterritorialen Sanktionen“ üben die USA Druck auf Drittstaaten aus, ähnliche Sanktionen zu beschließen. Der EU-Botschafter in Washington hat erklärt, die EU werde diese Sanktionen, die sie als rechtswidrig ansieht, nicht akzeptieren und aktiv bekämpfen. Durch die EU-Verordnung 2271, ursprünglich von 1996, wird Fir-men aus der EU unter Strafandrohung verboten, solchen US-Sanktionen zu folgen. Unternehmen in Europa könnten dann vor dem Dilemma stehen, bei Iran-Geschäften entweder Strafen der USA oder der EU zu riskieren. Die EU könnte ihrerseits die Strafen gegen EU-Firmen erhöhen oder im Gegenzug sogar Sanktionen gegen die USA verhängen. Ein Handelskrieg wäre die Folge.
In jedem Fall steht auch die iranische Regierung je nach den Auswirkungen solcher neuen Sanktionen vor der schwierigen Entscheidung, ob sie diese, sicher unter größtem verbalen Protest, akzeptiert oder sogar mit der Aufkündigung des JCPOA beantworten soll. Letzteres ist unwahrscheinlich, aber angesichts der innenpolitischen Lage im Iran sicher nicht vorherzu-sagen. Akzeptieren kann die EU aber die Wiedereinführung von Sekundärsanktionen hinge-gen kaum, da sie sich dann die Aufkündigung des JCPOA riskiert.
Insgesamt muss dem US-Kongress und Präsident Trump verdeutlicht werden, dass es nicht nur um die Zukunft des JCPOA und des Friedens im Mittleren Osten geht, sondern auch um die Zukunft des transatlantischen Verhältnisses.

Prof. Dr. Götz Neuneck

IFSH, Universität Hamburg
Pugwash-Beauftragter der VDW e.V.


[1] Siehe dazu detailliert: Michael Brzoska: Trump und der Atomdeal mit dem Iran: Jetzt ist Europa gefordert. Stellungnahme IFSH, 14. Oktober 2017. https://ifsh.de/news/details/of/news-1471/

Prof. Dr. Götz Neuneck
Prof. Dr. Götz Neuneck
Götz Neuneck ist stellvertretender wissenschaftlicher Direktor des Institut für Friedensforschung und Sicherheits­politik an der Universität Hamburg (IFSH) und leitet den Masterstudiengang „Peace and Security Studies“. Er ist Mitglied des Council der „Pugwash Conferences on Science and World Affairs“, Pugwash-Beauftragter der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e.V. und Sprecher des Arbeitskreises Physik und Abrüstung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG). Seine aktuellen Schwerpunkte sind Rüstungskontrollen und Abrüstung, Nuklearwaffen und Nonproliferation, Raketenabwehr und Weltraumrüstung.