*Der Beitrag spiegelt die persönliche Meinung des Autors wider und entspricht nicht zwangsweise der Meinung der VDW.
Bericht zur Nobel Laureates Assembly, University of Chicago
Anfang August jährten sich die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki zum 80. Mal. Sie markierten den Beginn des Nuklearzeitalters und waren der Ausgangspunkt für ein Ressourcen verschleißendes nukleares Wettrüsten zwischen zwei Militärblöcken unter der Führung der USA und der Sowjetunion. Heute scheinen viele Probleme dieser Zeit weitgehend vergessen.
Vom 14. bis 16. Juli 2025 trafen sich an der Universität Chicago einige Nobelpreisträger mit einer Gruppe von Nuklearexperten zu der „Laureates Assembly for the Prevention of Nuclear War“, darunter der Autor dieser Zeilen als Vertreter der Internationalen Pugwash-Organisation und Vorsitzender der VDW. Kalendarischer Anlass war der 80. Jahrestag des Tests der ersten Atombombe mit Codename Trinity in der Wüste von New Mexico, USA, am 16. Juli 1945, der das militärische Nuklearzeitalter eröffnete.
Bei dem Lindauer Nobelpreisträgertreffen 2024 erklärten 30 Nobelpreisträger: „…in der heutigen zersplitterten und polarisierten Welt ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass diese schrecklichen Waffen entweder versehentlich oder vorsätzlich eingesetzt werden – mit der Wahrscheinlichkeit des Endes der menschlichen Zivilisation, wie wir sie kennen.“ Der Physiker David Gross war in Lindau überrascht, dass viele junge Teilnehmer die nukleare Bedrohung nicht als ernsthafte Gefahr für ihre Zukunft ansehen. Daraus entstand die Idee der Nobelpreisträger sich mit Nuklear-Experten über die aktuelle Bedrohung auszutauschen und die Diskussion zu vertiefen.
Die dreitägige Tagung fand in Sichtweite des Ortes statt, an dem am 2. Dezember 1942 unter Leitung von Enrico Fermi erstmalig im ersten von Menschenhand gebauten Reaktor, den graphitmoderierten Chicago Pile 1, eine sich selbst-erhaltende, kontrollierte Nuklearspaltung gelang, Grundlage für die militärische und zivile Freisetzung der Kernenergie. Organisiert wurde das Treffen u.a. vom „Bulletin of the Atomic Scientists“, einem nicht technischen Magazin, das 1947 in Chicago von Wissenschaftlern des Manhattan-Projektes gegründet worden war. Heute zeigt das Titelblatt des Magazins die Doomsday(Weltuntergangs)-Uhr 89 Sekunden vor Zwölf, so knapp wie noch nie. Im Franck-Report 1945 warnten Wissenschaftler wie James Franck und Leo Szilard ihre Regierung nicht nur vor dem Abwurf der Manhattan-Bombe auf Zivilisten, sondern auch vor einem neuen nuklearen Wettrüsten. In einer kleinen Ausstellung konnte man bei der diesjährigen Tagung die Originaldokumente des Franck-Reports sowie Briefe und Messdiagramme des Chicago Pile 1-Reaktors ansehen. Anwesend war auch Frank von Hippel, der im März den Göttinger Friedenspreis erhalten hat und der Neffe des Physiknobelpreisträgers James Franck ist.
Das Wettrüsten wurde erst nach 40 Jahren beendet, auch dank der sogenannten „Back-Channel“-Hintergrunddiplomatie und der Abrüstungsvorschläge von Wissenschaftlern im Rahmen der „Pugwash Conferences on Science and World Affairs“, einem der Mitorganisatoren des Treffens.
Nach vielen gefährlichen Momenten, die die Menschheit an den Rand eines Atomkrieges führten, endete die Ost-West-Konfrontation aufgrund von Einsicht, engagierter Diplomatie und Rüstungskontrollregelungen mit weitreichenden Abrüstungserfolgen, abgesichert durch überprüfbare Verträge. Zentrale Einsichten dieser Zeit betreffen die planetaren Konsequenzen eines globalen Atomkrieges, die prekäre Stabilität nuklearer Abschreckung, die Notwendigkeit von verlässlicher Krisenkommunikation und fortgesetzten Rüstungsbeschränkungen. Eine neue Studie der Akademie der Wissenschaften in den USA bestätigt frühere Ergebnisse, dass bereits ein regionaler Atomkrieg, bei dem etwa 5 Millionen Tonnen Ruß in die Stratosphäre gelangen, eine abrupte globale Abkühlung der Erdoberfläche um etwa 1,8 °C, etwa 8% weniger Niederschlag und kräftig reduziertes Sonnenlicht über einige Jahre verursacht. Geringere Ernte und Hungersnöte wären die Folge.
Im Zentrum des Treffens standen keine langen Vorlesungen, sondern sieben Panels mit Kurzbeiträgen von Experten, die von Nobelpreisträgern kommentiert wurden, darunter Brian Schmidt und Saul Perlmutter, die für die Entdeckung der beschleunigten Expansion des Universums 2011 ausgezeichnet worden waren, der erste afrikanische Nobelpreisträger für Literatur Wole Soyinka und die Aktivistin Jody Williams. Schwerpunktthemen waren der Erhalt der Strategischen Stabilität und des Teststoppverbots, die Raketenabwehr, die Bewaffnung des Weltraums und die Proliferationsproblematik. Anwesend war auch Kardinal Tomasi für den Vatikan und verschiedene Angehörige vormaliger US-Regierungen. Kritisch muss man anmerken, dass nur wenige Vertreter europäischer und anderer Länder eingeladen waren. Eine russische oder chinesische Teilnahme gelang nicht. Dennoch war der transatlantische Austausch verschiedener Expertenkreise wichtig, denn nun ist die Problematik in den westlichen Kreisen der Top-Wissenschaft hoffentlich auch angekommen.

Das Foto zeigt die Teilnehmenden vor der Plastik von Henry Moore „Nuclear Energy“ am Ort des Chicago Pile-1
Deutlich wurde, dass die neuen nuklearen Bedrohungen in einem veränderten geopolitischen Umfeld stattfinden. Die Warnzeichen für neue Kriegsgefahr und nukleare Konfrontationen sind unübersehbar. Nach Jahrzehnten der weltweiten Abrüstung halten sich die fünf traditionellen Atomwaffenbesitzer nicht an die Abrüstungsverpflichtungen des Nichtverbreitungsvertrages (NVV) und modernisieren drastisch. Auch China rüstet, wahrgenommen als neue dritte Supermacht, intransparent sein Atomarsenal auf. Die NVV-Nichtmitglieder Indien und Pakistan, stets eskalationsbereit am Rande eines Krieges, erweitern ihr Arsenal, ebenso wie Nordkorea. Iran reichert Uran über das für zivile Einsätze notwendige Maß hinaus an. Das angenommene militärische Nuklearprogramm des Iran sollte durch die völkerrechtlich äußerst zweifelhaften Militärschläge Israels und der USA im Juni 2025 beendet werden. Die militärischen Angriffe und der nachfolgende Vergeltungsschlag des Iran, bei dem es auf beiden Seiten zivile Opfer gab, zeigt, dass vordergründige militärische Lösungen jahrelange diplomatische Lösungen zunichtemachen. Zentrale Rüstungskontrollverträge sind gekündigt und finden keine Nachfolge. Der New START-Vertrag von 2010 zwischen den USA und Russland läuft am 26. Februar 2026 aus, ohne dass Gespräche zwischen beiden Parteien stattfinden. Es ist das letzte bilaterale Abkommen der beiden großen Atommächte, das Atomsprengköpfe nachprüfbar beschränkt. Stimmen werden lauter, Atomtests wiederaufzunehmen. Im Januar schlug der US Präsident vor, eine „goldene Kuppel für Amerika“ zu bauen, um die USA gegen Raketen zu verteidigen und so die Bedrohung der USA durch Raketen „für immer zu beenden“. SDI 2.0 läßt grüßen! Eine Bewaffnung des Weltraums wäre garantiert. Sogar von der Stationierung von Atomwaffen im Weltraum durch Russland ist die Rede.
Den Abschluss im vollbesetzten „Logan Center“ der Universität Chicago bildete ein Konzert des Kronos-Quartetts mit einer neuen Version von Bob Dylans apokalyptischer Ballade „ A hard Rain´s A-Gonna-Fall“, die während der Kuba-Krise 1962 entstand. Während der vorherigen Stücke wurden historische Dokumente von Zeitzeugen der Hiroshima-Bombardierung, so. z.B. ein Brief von Chruschtschow an Kennedy zur Kuba-Krise und weitere Texte verlesen. Darin heißt es u.a.: „I saw guns and sharp swords in the hands of young children” oder “Heard the roar of a thunder that roared out a warnin’/Heard the roar of a wave that could drown the whole world.”
Die Tagung in Chicago ging zu Ende mit einer kurzen nur zweiseitigen Erklärung, die eine gute Grundlage für weitere Aktivitäten, Diskussionen und Expertisen bildet und die inzwischen von 128 Nobelpreisträgern (Stand August 2025) und Dutzenden von Nuklearexperten unterstützt wird. Die Versammlung erstellte und billigte eine Liste mit dreizehn umsetzbaren politischen Empfehlungen und forderte die Staats- und Regierungschefs der Welt auf, sofortige und sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen.
Im Detail fordert die von den meisten Teilnehmern unterzeichnete Erklärung die Nationen auf, das Moratorium für Atomtests zu bekräftigen, die menschliche Aufsicht über das Kommando und die Kontrolle von Atomwaffen zu verbessern, wieder in Rüstungskontrollverhandlungen einzutreten, um den neuen START-Vertrag zu ersetzen, und auf massive Investitionen in die strategische Raketenabwehr zu verzichten. In der Erklärung heiß es u.a.: „Alle Nuklearwaffenstaaten müssen sich ohne Vorbedingungen oder vorgefasste Vorstellungen über das Ergebnis an Nukleargesprächen beteiligen. Ein verstärkter kooperativer Dialog über die wissenschaftlichen, rechtlichen und militärischen Implikationen von KI und anderen neuen Technologien ist nötig, um z.B. die Stationierung von Waffen im Weltraum und im Cyber-Space zu verhindern. Nicht nur sollte ein Nachfolgeabkommen für New START rasch verhandelt werden, sondern auch weitere Schritte zur nuklearen Risikoreduzierung, zum Krisenmanagement und zur Kriegsverhütung eingeführt werden. Physikalische Expertise z.B. für die Verifikation ist ebenso gefordert wie verstärkte Track-II Diplomatie und die Beteiligung der Wissenschaft für die Aufklärung der Öffentlichkeit. Der Appell richtet sich auch an die eigene Zunft: „Wir rufen Wissenschaftler, Akademiker, die Zivilgesellschaft und Glaubensgemeinschaften dazu auf, den notwendigen Druck auf die führenden Politiker der Welt auszuüben, um Maßnahmen zur Verringerung des nuklearen Risikos umzusetzen.“ Daran erinnernd, dass es keine größere Verpflichtung gibt, als die Katastrophe eines globalen Atomkrieges zu verhindern und gewandt an die Politiker der Welt schließt diese Erklärung mit den Worten des Russell-Einstein-Manifestes vom 9. Juli 1955: „Wir appellieren als Menschen an Menschen: Erinnert euch an eure Menschlichkeit und vergesst den Rest“.
Götz Neuneck, 09. August 2025
Siehe auch:
Alexandra Witze: How to Avoid Nuclear War Today, Nature, Vol. 643, 24. July 2025
Götz Neuneck: Meinungsbeitrag, Physik Journal 24 (2025) Nr.8/9
The Nobel Laureates Assembly for the Prevention of Nuclear War: https://nobelassembly.org/declaration/
Kronos Quartett: Hard Rain Concert: https://nobelassembly.org/a-hard-rain/