*Der Beitrag spiegelt die persönliche Meinung des Autors wider und entspricht nicht zwangsweise der Meinung der VDW.
Der Mensch ist gut so, wie er ist! Das sehen Trans- und Posthumanisten anders. Für sie sind Menschen äußerst verbesserungsbedürftig, um Defizite zu mindern oder zu beheben, Krankheiten vorzubeugen, Lebensqualität, Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu verbessern und die Lebensspanne zu erweitern. Diese Verbesserungen sollen unter anderem auch durch Implantierung (digitaler) Technik erreicht werden und umfassen insbesondere auch Verbindungen des Gehirns mit digitaler Technik. Die posthumanistische Vision geht darüber hinaus und strebt die Überwindung des Menschen durch eine Singularität, also eine starke Künstliche Intelligenz (KI) an. Diese „letzte menschliche Erfindung“ soll dann als neue Krone der Schöpfung das Universum erwecken. Beiden Ansätzen liegt die utilitaristische Annahme zugrunde, dass effizienter und leistungsfähiger immer besser bedeutet und es keinen Grund dafür gibt, auf technisch mögliche Verbesserungen zu verzichten, da diese ja nützlich sind. Für Trans-/Posthumanisten ist eine Sichtweise, in der die Menschen in ihrer natürlichen, biologischen Verfasstheit von Geburt, über Wachstum, Fortpflanzung und Verfall zum Tod gehen, eine unentschuldbare Niederlage angesichts seiner geistig-kreativen Möglichkeiten.
Dem hier nur holzschnittartig skizzierten trans-/posthumanistischen Blick auf den Menschen ist eine Sichtweise gegenüberzustellen, die die behauptete Unvollkommenheit des Menschen als das natürlich Gewollte und Sinnvolle begreift. Es fußt auf dem Begreifen, dass jeder Mensch in seiner Einzigartigkeit unauflösbar im irdischen Ökosystems und Kosmos mit allem verbunden und in ständigem Austausch ist. Dann sind auch Verletzlichkeit und Sterben, als Vergänglichkeit des Selbstbewusstseins, notwendige und sinnvolle, wenngleich schmerzliche Prozesse. Die Reduktion des Menschen auf seine „optimierte Fitness“ bedeutet demgegenüber ein Weniger des Menschen in seiner Unverfügbarkeit und Selbstzwecklichkeit.
Im Zuge der fortgeschrittenen Digitalisierung werden Menschen zunehmend als Informationsverarbeitungseinheiten betrachtet. Das Gehirn wird als Computermetapher verstanden, also als ein besonders leistungsfähiges neuronales Netzwerk. Das menschliche Bewusstsein wird damit auf die reine Informationsverarbeitung reduziert. Dieser Übergang vom materialistischen Menschenbild zu einem Informationsdenken erscheint zunächst als eine Betrachtung, die das Geistige in den Mittelpunkt rückt. Tatsächlich wird damit aber im Gegenteil das Geistige systematisch auf Information und Informationsverarbeitung zurückgeführt und reduziert. Dabei wird vergessen, dass der Informationsbegriff selbst nur mit Bezug auf Semantik, also auf Geistiges, definiert werden kann. Verstehen ist ein geistiger Akt, der dem Verarbeiten von Informationen zugrunde liegt und nicht Folge von Datenverarbeitung ist. Damit ist die kreative Fähigkeit des Geistes, unmittelbar Bedeutung herzustellen, ein zutiefst menschlicher Akt, der nicht maschinell ersetzt werden kann.
Die VDW Studiengruppe „Technikfolgenabschätzung der Digitalisierung“ sieht Technik als rein instrumentell an. Die Dienlichkeit der Technik für den Menschen ist für uns essentielle Grundbedingung für ihre Rechtfertigung.
Weil philosophische Aspekte der Digitalisierung oftmals nur isoliert diskutiert werden, beschäftigen sich gleich drei Kapitel des VDW-Buches „Wie wir leben wollen“ (die englische Ausgabe heißt „The World We Want to Live in“) mit solchen Fragen und verknüpfen sie mit sozioökonomischen und soziotechnischen Themen der vernetzten Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz.
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Frank Schmiedchen ist Volks- und Betriebswirt und lehrt seit 1992 in beiden Disziplinen an unterschiedlichen Hochschulen. 1996-1999 war er Dekan des Fachbereichs KMU-Management an der Päpstlich-Katholischen Universität Ecuadors und hat die Lehre der jesuitischen Universitäten in Lateinamerika im Bereich KMU-Management koordiniert. Seit 1999 ist er Beamter im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und war vorwiegend in den Bereichen internationale Zusammenarbeit, Industriepolitik und geistige Eigentumsrechte tätig. 2001-2004 war er an der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU für die Beziehungen zu Afrika und den AKP-Staaten zuständig. Er war bereits 2002 bis 2009 Mitglied des Beirates der VDW.