24. Oktober 2024 | Zukunft gestalten: Energiewende und Nachhaltigkeit
Was braucht es, damit die nachhaltige Transformation gesamtgesellschaftlich Fahrt aufnimmt? Welche Technologien sind entscheidend für den Fortschritt der Energiewende? Und wie können Hochschulen zu Vorreitern in der nachhaltigen Transformation werden?
Mit diesen Fragen beschäftigte sich der Aktionstag „Zukunft gestalten: Energiewende und Nachhaltigkeit“. Er bot den Teilnehmenden die Möglichkeit sich intensiv mit Nachhaltigkeit an Hochschulen sowie mit den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und infrastrukturellen Aspekten der Energiewende zu beschäftigen. Mit hochkarätigen Gästen wie Prof. Peter Hennicke wurde in Vorträgen und Diskussionsrunden einen Tag lang darüber gesprochen, wie wir als Gesellschaft die Energiewende und die nachhaltige Transformation nach vorne treiben können und welche Rolle die Hochschulen dabei einnehmen können.
Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker eröffnete den Tag mit einem kurzen Impuls – krankheitsbedingt per Video – und beleuchtete zentrale Aspekte für eine globale nachhaltige Transformation. Von Weizsäcker kritisierte in seiner Präsentation die UN-Nachhaltigkeitsagenda 2030 als nicht nachhaltig genug, da die ersten elf Ziele wachstumsorientiert seien. Stattdessen schlug er vor, die Nachhaltigkeitsziele als Pyramide zu strukturieren. Umweltziele sollen in diesem Modell die Basis bilden, da Wohlstand ohne eine intakte Umwelt nicht nachhaltig gesichert werden kann. Zudem betonte er die Notwendigkeit einer Balance zwischen kurzfristigem und langfristigem Denken, zwischen Markt und Staat sowie zwischen Mensch und Natur. Positive Entwicklungen wie die sinkenden Kosten für Solarenergie bieten Hoffnung auf eine nachhaltigere Zukunft.
Im Anschluss hatte Prof. Peter Hennicke, langjähriger Präsident des Wuppertal Instituts und renommierter Wissenschaftler das Wort. Er fokussierte in seinem Vortrag die Umsetzung einer klima- und sozialgerechten Energiewende. Ein wesentlicher Referenzpunkt dessen war das kürzlich veröffentlichte Buch „Earth for all Deutschland“ des Club of Romes, an dem er als Mitautor beteiligt ist. Prof. Hennicke machte direkt am Anfang deutlich, dass sechs der insgesamt neun planetaren Grenzen bereits überschritten wurden. Um eine „Hot Pot Earth“ zu vermeiden, besteht demnach großer Handlungsbedarf. Für die Energiewende und Nachhaltigkeit sieht er drei Säulen als grundlegend: Effizienz, Konsistenz und Suffizienz. Auf wirtschaftlicher Ebene sei es laut eines Weltenergie-Szenarios der Internationalen Energieagentur möglich wirtschaftliches Wachstum mit sinkenden Emissionen zu verbinden. Ein Schlüssel dazu sei die Kreislaufwirtschaft, die neben dem zyklischen Wirtschaften auch neue Suffizienz-Handlungsempfehlungen beschreibt: „refuse, rethink, reuse“.
Hennicke skizzierte die Rolle der „gerechten Suffizienzpolitik,“ die gesellschaftliche Lösungen fordert, um einen Wandel hin zu einer Wohlergehensgesellschaft zu ermöglichen. Dabei hob er die Verantwortung der wohlhabenden Bevölkerung (Top 10%) hervor, die für 48 % der Emissionen und 76 % des Kapitals verantwortlich ist. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit, die Verursacher stärker in die Pflicht zu nehmen, da sie die finanziellen Mittel besitzen, um eine Veränderung zu bewirken.
Zudem forderte Hennicke eine drastische Erhöhung der Investitionen in Wind- und Photovoltaikanlagen, um die Klimaziele zu erreichen. Diese müssten einhergehen mit sozialen Programmen, um gleichzeitig einer Energiearmut und sozialen Ungerechtigkeit vorzubeugen bzw. auszugleichen. Zum Abschluss betont Hennicke die Bedeutung eines politischen und gesellschaftlichen Wertewandels zu einer „solidarischen Lebensweise,“ die Verantwortung für zukünftige Generationen übernimmt. Eine Transformation sei dringend erforderlich, um unsere Gesellschaft nachhaltiger und gerechter zu gestalten.
Prof. Lars Meierling, Rektor der DHBW Villingen-Schwenningen, stellte vor, welche Ziele und Umsetzungsstrategien die DHBW in Bezug auf Nachhaltigkeit verfolgt. Übergeordnet sei das Ziel bis 2030 klimaneutral zu sein. Meierling betonte die Rolle der Hochschule bei der Förderung nachhaltiger Ziele, die über den Klimaschutz hinausgehen, und verwies auf die positiven Aspekte der UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) wie Eigenverantwortlichkeit und Ganzheitlichkeit. Für die DHBW sieht er insbesondere die SDGs „Hochwertige Bildung“ und „Maßnahmen zum Klimaschutz“ als Ankerpunkte, die es zu verbinden gilt.
Durch die kürzlich beschlossene Nachhaltigkeitsstrategie der DHBW wird Nachhaltigkeit praktisch umgesetzt: So muss jeder Studiengang sein Curriculum entsprechend der SDGs weiterentwickeln und alle Studierenden können Nachhaltigkeitszertifikate erwerben. Zusätzlich werden nachhaltige Praktiken auch in Bereichen wie Beschaffung und Mobilität gefördert. Zur Umsetzung dieser Maßnahmen wurden an der DHBW „Green Offices“ und ein Klimaschutzmanagement eingeführt. In der Lehre liegt der Fokus zunehmend auf Kompetenzerwerb statt reinem Wissen. Abschließend betonte Meierling, dass die DHBW sich für eine zukunftsorientierte, mutige und pragmatische Nachhaltigkeitsstrategie einsetze, die langfristige Akzeptanz und Partizipation fördern soll.
Die politische Perspektive brachte Martin Hahn, Mitglied des Landtags in Baden-Württemberg der Grünen ein. Er betont die Bedeutung positiver Zukunftsperspektiven in einer teils rückwärtsgewandten Zeit. Besonders hob er die Rolle der DHBW hervor, die durch praxisnahe Studiengänge, etwa in der Landwirtschaft, eine Brücke zwischen Wissenschaft und Gesellschaft baue. Besonders im Bereich der Energiewende gebe es große Herausforderungen, etwa bei der Netzinfrastruktur, die es aktiv anzugehen gilt, um Fortschritte im Klimaschutz zu erreichen.
Hahn brachte seine landwirtschaftliche Erfahrung ein und wies darauf hin, dass der Wald von einer Kohlenstoffsenke zunehmend zum Emittenten würde, was zusätzliche Maßnahmen erfordere. Projekte wie Agrophotovoltaik in Baden-Württemberg, die der Zeit voraus sind, zeigen Chancen für innovative Lösungen. Zudem betonte Hahn die Notwendigkeit, ein Gleichgewicht zwischen Staat und Markt zu finden und sowohl langfristige als auch praktische Übergangslösungen zu etablieren, um die Energiewende erfolgreich voranzutreiben.
In der Diskussionsrunde unter Leitung von Prof. Gerhard Jäger, Rektor der DHBW Lörrach, wurde die Rolle von Hochschulen für Nachhaltigkeit intensiv beleuchtet. Jäger betonte die Vorbildfunktion der Hochschulen durch nachhaltiges Handeln und Forschen. Peter Hennicke hob hervor, dass Studierende Kompetenzen wie systemisches und interdisziplinäres Denken brauchen, um sich sinnvoll und zukunftsorientiert in den Arbeitsmarkt einzubringen.
Lars Meierling ergänzte, dass die Hochschulausbildung verstärkt Kommunikations- und Sozialkompetenzen vermitteln müsse und Fachwissen allein nicht ausreiche. Martin Hahn unterstrich, wie wichtig empathische Kommunikation sei, um Widerstände gegen Nachhaltigkeitsthemen abzubauen. Politik und Wissenschaft müssten stärker die Sorgen der Menschen verstehen und aufgreifen, etwa bei sensiblen Themen wie der Heizungsmodernisierung.
Nach einer Mittagspause startete der Nachmittag mit Einblicken in die praxisorientierten Projektarbeiten von Studierenden. Dr. Tillmann Stottele und Angelika Eckstein erläuterten, dass die dualen Studierenden dabei durch Seminare und Projektarbeiten nicht nur Fachkenntnisse, sondern auch rechtliche Grundlagen vertiefen und an ganz konkreten Themen arbeiten, um dieses Wissen zu etablieren. Die Arbeiten basieren auf Fallstudien, bei denen die Studierenden die aktuelle Situation analysieren und nachhaltige Handlungsempfehlungen erarbeiten, die sowohl Wirtschaftlichkeit als auch Nachhaltigkeit berücksichtigen. wie etwa gezieltes Informieren oder Boykott der Produkte.
Die Studierenden Lukas Wangler und Richard Stein stellten die Erkenntnisse ihrer Arbeit vor. Sie beschäftigten sich mit dem Phänomen des Greenwashings, bei dem Unternehmen sich oder ihre Produkte als klimaneutral oder nachhaltig darstellen, ohne wissenschaftliche Nachweise dafür zu haben. Wangler und Stein stellten ihren Leitfaden vor, der Konsumenten dabei hilft, Greenwashing durch Aussagen, Aktionen und Implikationen zu erkennen. Sie gaben praktische Tipps für den Umgang mit diesen Marketingstrategien, wie etwa gezieltes Informieren oder Boykott der Produkte.
Student Oliver Müller ergänzte mit einem Zwischenstand seiner Arbeit zu Bebauungsplänen als Grundalge für nachhaltiges Bauen. In seiner Analyse beschäftigte er sich mit Umweltberichten und Bebauungsplänen für nachhaltiges Bauen. Außerdem führte er ein Interview mit dem Bürgermeister. Seine Ergebnisse zeigen die Herausforderungen bei der Infrastruktur in Neubaugebieten, die aufgrund von Wirtschaftlichkeit zunehmend ohne Gasanschlüsse und Fernwärme geplant werden.
Energiewende konkret
In das Fokusthemas des Nachmittags „Energiewende konkret“ leitete Prof. Konrad Reif, Studiengangsleiter an der DHBW, ein. Anhand anschaulicher Analogien erläuterte er die Unterschiede zwischen regenerativer und fossiler Energieversorgung. Im klassischen Modell dienen fossile Energiequellen wie Erdgas gleichzeitig als Quelle und Speicher, was den Prozess vereinfacht. Regenerative Energien, wie Wind und Solar, erfordern hingegen separate Schritte für die Gewinnung, Speicherung und Übertragung der Energie, was technische Herausforderungen mit sich bringt. Mit einer Analogie zur Landwirtschaft verdeutlichte Reif diese Unterschiede: Fossile Energiequellen seien wie Dosennahrung, die jederzeit verfügbar ist.
Regenerative Energie gleiche frischem Gemüse, das geerntet, direkt genutzt oder zur späteren Verwendung, wie etwa in Form von Apfelsaft, verarbeitet und gelagert werden muss. Regionale Energieversorgung wurde, im gleichen Bild bleibend, mit einem Hofladen verglichen, im Gegensatz zur zentralen Versorgungskette eines Kohlekraftwerks. Der Vorteil einer regionalen Lösung liege in der Unabhängigkeit von großen Anbietern, lokalen Speichern und geringeren Transportverlusten, obwohl die Preise höher sind. Diese Form der Energieversorgung biete Vorteile wie finanzielle Rückflüsse in die Region und weniger Blackouts, unterstütze jedoch nicht die „Economy of Scale“ großer Anbieter.
Walter Göppel von der Energieagentur Oberschwaben erläuterte in seinem Impuls die Herausforderungen der Energiewende auf kommunaler Ebene. Die Agentur betreut 132 Kommunen in mehreren Landkreisen mit fast 900.000 Einwohner:inen, bietet unabhängige Energieberatung an und unterstützt Klimakommunen und -landkreise. Dabei sind große Unterschiede in der Abdeckung durch erneuerbare Energien spürbar: Die regenerative Stromversorgung reicht von 5 % bis 565 %, die Wärmeabdeckung von 4 % bis 86 %. Bis 2040/45 sollen Strom-, Wärme- und Speichersysteme gemeinsam ausgebaut werden.
Göppel ist davon überzeugt, dass die Stromwende größtenteils machbar sei, bei der Wärme und Mobilität gebe es größere Herausforderungen – etwa im Kreis Bodensee, wo rund 89 % der Wärmeversorgung auf fossilen Energien basiere. Regionale Potenziale spielen eine zentrale Rolle, jedoch ohne 100%ige Verfügbarkeit. Die Umsetzung hänge von stabiler Planung, ausreichendem Kapital, Förderprogrammen, Fachkräften und akzeptablen Verbrauchspreisen ab – nur gemeinsam wird die Energiewende gelingen.
Dr. Maria Reinisch, Geschäftsführerin der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler, präsentierte Strategien zur kommunalen Energiewende. Sie sprach darüber, wie „Herz und Hirn“ entscheidend sind, um den Klimawandel auf lokaler, nationaler und globaler Ebene anzugehen. Durch innovative Werkzeuge wie die im Projekt ZuSkE entwickelte „Strategiebox Sektorkopplung“ unterstützt sie Kommunen dabei, partizipative und praxisorientierte Lösungen zu entwickeln. Zusätzlich sprach sie über die besondere Bedeutung von Visualisierungen der Klimawandelfolgen.
Im laufenden Projekt EnerVi entwickelt sie derzeit eine KI-basierte Anwendung, die den Bürger:innen transparent macht, wie eigenes Verhalten zu positiven Veränderungen beitragen kann. Mit Beispielen aus Partnergemeinden zeigte sie, wie gemeinsam entwickelte Visionen und konkrete Maßnahmen die kommunale Energiewende stärken können. Reinischs Engagement machte deutlich, dass eine erfolgreiche Energiewende auf lokaler Ebene auch ein persönliches Anliegen ist und den Einsatz jedes Einzelnen erfordert. Eine gemeinsame Vision kann in Kommunen ungeahntes Potenzial zum Vorschein bringen.
Andreas Schell, Gründer und Geschäftsführer von Tethys Impact Energy GmbH, betonte die zentrale Rolle nachhaltigen Wirtschaftens in der Energiewende. Mit seinem Unternehmen unterstützt er andere Firmen bei der Dekarbonisierung.
Er verwies auf die zunehmenden Naturkatastrophen und unterstrich die globale Dimension der Energiewende. Schell schätzt, dass Deutschland bis 2030 rund 800–900 Milliarden Euro investieren müsse. Er vergleicht die Energiewende mit einem Marathon, in dem Deutschland derzeit bei Kilometer 9 ist und immer wieder durch politische Richtungswechsel gestoppt wird, während andere Länder konstant vorankommen. Neben den Herausforderungen sieht er auch Chancen durch die Energiewende in Deutschland: Investitionen in Infrastruktur, neue Wertschöpfungsketten und eine nachhaltigere Zukunft.
Mark Kreuscher, Bereichsleiter für Netze beim Stadtwerk am See, beleuchtete in seinem Impuls die Strategie des Stadtwerks zur Energiewende. Er unterstrich die Bedeutung einer spartenübergreifenden Netzplanung, die Wärme, Strom und Gas umfasst. Die kommunale Wärmeplanung sei in vollem Gange. Die Umsetzbarkeit hänge jedoch von vielen Faktoren ab, unter anderem von der Weiterentwicklung der Strom- und Gasnetze.
In der Sparte Strom spielt das europaweite Verbundnetz eine wichtige Rolle. Relevant ist die Balance zwischen Produktion und Verbrauch. Die Hauseigentümer, Energielieferanten, Messstellenbetreiber und Netzbetreiber müssten gemeinsam an einem Strang ziehen. Im Bereich Gas plant das Stadtwerk die Integration grüner Gase und den Aufbau eines dezentralen Wasserstoffnetzes für die Industrie. Kreuscher resümiert, dass eine sektorenübergreifende Strategie, die Zusammenarbeit mit den Kommunen und technologische Innovationen wichtig sind, um eine nachhaltige Energiezukunft sicherzustellen.
In der abschließenden Runde diskutierten die Referent:innen des Nachmittags über die Herausforderungen und Chancen der Energiewende. Die Themen Energiespeicherung, wirtschaftliche Faktoren, politischer Umsetzungswille und die Frage wie man die Menschen für eine sinnvolle Energiewende begeistern kann standen dabei im Mittelpunkt. Vom Publikum wurden globale Aspekte wie der hohe Energiebedarf von Rechenzentren angesprochen und die Rolle von Interessensverbänden bei Projekten thematisiert.
Mit großen Erwartungen wird auf die Abschlussveranstaltung im März 2025 geblickt, bei der die Studierenden Ergebnisse ihrer Studienarbeiten vorstellen werden.
Ein Video zur Veranstaltung ist bald auf dieser Webseite verfügbar.