*Der Beitrag spiegelt die persönliche Meinung des Autors wider und entspricht nicht zwangsweise der Meinung der VDW.
Ein Zwischenruf über die Rolle der Wissenschaften
im Kontext des Rechtsrucks – nicht nur in Deutschland
Die Wissenschaften haben eine besondere Rolle bei der Verteidigung der Demokratie. Im Artikel 5, Absatz 3 des deutschen Grundgesetzes steht: »Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.« Die Verfassungsgrundsätze sind: Demokratie, Sozialstaat, Rechtsstaat, Bundesstaat, Gewaltenteilung, Widerstandsrecht. Weil in vielen demokratisch geführten Ländern des Westens die Demokratie durch Extremismus gefährdet wird, sind auch die Wissenschaften herausgefordert, die Freiheit der Lehre und Forschung und die Verfassungsgrundsätze zu verteidigen. Extremismus ist der Sammelbegriff für Bestrebungen von einzelnen Personen, Organisationen und politischen Parteien, die den demokratischen Verfassungsstaat und seine fundamentalen Werte ablehnen und bekämpfen. Es gibt drei Hauptkategorien des Extremismus: den Linksextremismus, den Rechtsextremismus und den islamistischen Extremismus.¹ Lange Zeit wurde der demokratische Verfassungsstaat in Deutschland durch die linksextremistische terroristische Vereinigung RAF (Rote-Armee-Fraktion) bedroht. Auch heute kann nicht ausgeschlossen werden, dass linksextremistische Aktivitäten sich gegen den demokratischen Verfassungsstaat und seine fundamentalen Werte richten. Durch den islamistischen Extremismus und Terrorismus, der die freiheitliche demokratische Grundordnung durch einen totalitären Gottesstaat ersetzen will, wurden seit 2015 in Deutschland 9 Anschläge mit zahlreichen Toten und Verletzten verübt. Die Bedrohungen durch den islamistischen Extremismus in Deutschland und Europa bleiben bestehen, schreibt das Bundesamt für Verfassungsschutz.²
Dieser »Zwischenruf« beschäftigt sich speziell mit dem Rechtsruck und rechtsextremistischen Aktivitäten in Deutschland und zeigt zum Schluss einige wenige Gedanken, wie sich die Wissenschaften gegen den zunehmenden Rechtsextremismus positionieren könnten.
Die Spitze des »rechtsextremistischen Eisbergs« in Deutschland war das vom Medienhaus CORRECTIV aufgedeckte konspirative Geheimtreffen im Landhaus Adlon am Lehnitzsee bei Potsdam im November 2023, dessen Details am 10. Januar 2024 veröffentlicht wurden. Rechtsextremisten, Neonazis und AfD-Funktionäre haben dort über die millionenfache Deportation von Ausländerinnen und Ausländern diskutiert.³ Es gab daraufhin einen »Aufschrei« in Deutschland. Die Details dieses Geheimtreffens haben dafür gesorgt, dass in Deutschland seitdem in vielen großen und kleinen Städten nahezu täglich gut besuchte Demonstrationen gegen den Rechtsextremismus, gegen die AfD und für den Erhalt der Demokratie stattfinden.
Würden die Demokratie und die offene Gesellschaft durch rechtsextremistische Aktivitäten geschwächt, so wären davon auch die Wissenschaften betroffen. Letztendlich wären sie ohne eine demokratische, offene, multikulturelle und letztlich bunte Gesellschaft erfolglos, denn die Wissenschaften selbst sind personell, multikulturell und multiethnisch aufgestellt. Max-Planck-Präsident Patrick Cramer äußerte sich in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in diesem Sinne und schreibt: »Die aktuellen Berichte über Vertreibungspläne, die in rechtsradikalen Kreisen geschmiedet werden, entsetzen mich. […] Das ist nicht akzeptabel und schadet unserem Land! Ich schreibe das als Präsident einer Forschungsorganisation mit mehr als 24.000 Beschäftigten, die aus 127 Ländern kommen. […] Wir brauchen eine offene Gesellschaft, die Talente anzieht und ein Umfeld schafft, in dem sich Menschen entfalten können. Davon profitieren nicht nur Forschung und Wirtschaft, denn ausländische Mitarbeitende bringen sich vielfach auch in das gesellschaftliche Leben ein. Im internationalen Vergleich ist Deutschland allerdings ein wenig attraktives Ziel. Ausländische Fachkräfte fühlen sich bei uns kaum willkommen. […] Die jüngst von der Universität in Greifswald gemeldeten rassistischen Angriffe auf internationale Mitarbeitende müssen uns mehr als zu denken geben. Wissenschaft und Wirtschaft – wir alle – brauchen eine offene Gesellschaft. […]«⁴
Weil die Wissenschaften in Deutschland international aufgestellt sind, gab es insbesondere nach dem Bekanntwerden des Potsdamer Geheimtreffens eindeutige Statements gegen Rechtsextremismus von vielen Hochschulen. Ebenso beteiligen sich Hochschulen an Demonstrationen gegen den Rechtsextremismus und gegen die AfD. Tilmann Warnecke berichtete im Tagesspiegel Anfang Februar 2024: » […] Als vor kurzem in Cottbus Tausende gegen Rechtsextremismus demonstrierten, war darunter auch Gesine Grande, Präsidentin der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU). Sie hielt sogar eine Rede und rief zu Vielfalt und Offenheit auf. ›Wir haben fast 3000 Studierende bei uns, die aus aller Welt kommen, weil sie sich eine Zukunft erhoffen‹, sagte Grande. ›Sie sind unsere Zukunft – und für sie müssen wir alles tun.‹ Die BTU Cottbus gehört zu vielen Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen, die sich nach Bekanntwerden des Potsdamer Geheimtreffens offen gegen Rechtsextremismus und für mehr Vielfalt positionieren – auch aus Sorge um die eigene, international diverse Belegschaft. So haben sich in Brandenburg nicht nur die BTU, sondern praktisch alle Hochschulen des Landes dem Bündnis ›Brandenburg zeigt Haltung für Demokratie und Zusammenhalt‹ angeschlossen. Die Berliner Hochschule für Technik (BHT) unterstützt das Bündnis ›Hand in Hand‹, das zur Großdemo am Samstag in Berlin aufruft. […]«⁵ Auch das Präsidium der Hochschulrektorenkonferenz verurteilt den Rechtsextremismus scharf und betont die freiheitliche Demokratie.6 Es ist zu hoffen, dass sich bundesweit alle Hochschulen und wissenschaftlichen Institutionen so deutlich gegen den Rechtsextremismus abgrenzen, wie die Max-Planck-Gesellschaft und die BTU, um die Vielfalt in den Wissenschaften zu schützen.
Weil Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen kulturellen, ethnischen, nationalen und sozialen Hintergründen kommen, trägt diese Vielfalt zu unterschiedlichen Perspektiven, Herangehensweisen, Innovationen und zur Qualitätssteigerung in der Forschung bei. Es bleibt festzustellen, dass die Wissenschaften bunt sind und sie es unbedingt bleiben müssen.
Die Wissenschaften sind per se ideologiefrei und überparteilich. Aber wissenschaftliche Institutionen können nicht verhindern, dass einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler extremistische Meinungen vertreten und diese gegebenenfalls in ihre wissenschaftlichen Arbeiten einbringen. Durch die Ausbreitung des Rechtsextremismus in der Gesellschaft ist es nicht auszuschließen, dass Menschen mit rechtsextremen Einstellungen auch in Hochschulen und wissenschaftlichen Institutionen arbeiten und in ihrer Arbeit beispielsweise Forschungsergebnisse manipulieren, pseudowissenschaftliches Gedankengut verbreiten oder ideologische und rassistische Theorien unterstützen.
Die Wissenschaften müssen frei von ideologischer Einflussnahme bleiben. Dafür ist eine kontinuierliche Reflexion über die ethischen Standards in der Wissenschaft und der Schutz vor politischer Instrumentalisierung notwendig, um letztendlich extremistische Unterwanderungen zu verhindern.
Nachfolgend einige wenige Gedanken, wie sich die Wissenschaften gegen den zunehmenden Rechtsextremismus positionieren könnten:
- Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können Forschung betreiben, um die Ursachen und Dynamiken von Rechtsextremismus zu verstehen und aufzudecken. Sie können Aufklärungsarbeit leisten, um die Öffentlichkeit über die Gefahren des Rechtsextremismus aufzuklären sowie Vorurteile bekämpfen und Fake News entlarven.
- Die Wissenschaften sollten klare ethische Standards und Richtlinien entwickeln, die den Umgang mit rechtsextremen Ideologien und Praktiken in der Forschung und im akademischen Umfeld regeln. Dies kann den Schutz vor politischer Einflussnahme und ideologischer Verzerrung sicherstellen.
- Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollten sich solidarisch gegen rechtsextreme Übergriffe und Diskriminierung stellen und sich für eine inklusive und diverse Wissenschaftsgemeinschaft einsetzen. Dies kann durch die Unterstützung von Betroffenen, die Förderung von Vielfalt und Inklusion sowie die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen geschehen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren.
- Die Wissenschaften sollten sich aktiv an politischen Diskursen beteiligen und sich für demokratische Werte und Menschenrechte einsetzen. Dies kann beinhalten, politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger zu beraten, sich an öffentlichen Debatten zu beteiligen und sich für Gesetze und Maßnahmen einzusetzen, die den Rechtsextremismus bekämpfen und die Opfer unterstützen.
Schlussbemerkung
Indem sich die Wissenschaften gegen alle Formen des Extremismus positionieren, können sie einen wichtigen Beitrag zu der Stärkung der demokratischen Gesellschaft und zur Förderung von Toleranz, Vielfalt und sozialer Gerechtigkeit leisten.
Anmerkungen:
1Siehe auch: Wikipedia (2024): Extremismus. Abgerufen am 18. März 2024, von https://de.wikipedia.org/wiki/Extremismus.
2 Bundesamt für Verfassungsschutz (2024): Islamismus und islamistischer Terrorismus. Zahlen und Fakten. Abgerufen am 18. März 2024, von https://www.verfassungsschutz.de/DE/themen/islamismus-und-islamistischer-terrorismus/zahlen-und-fakten/zahlen-und-fakten_node.html.
3 Siehe auch: CORRECTIV (10.01.2024): Geheimplan gegen Deutschland. Abgerufen am 11. März 2024, von https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen/.
4 Cramer, Patrick (2024). »Wir brauchen eine offene Gesellschaft!«. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. Januar 2024, S. N 4.
5 Tagesspiegel (2024). »Gegen Rechtsextremismus: Viele Hochschulen positionieren sich öffentlich.«, Abgerufen am 12. März 2024, von https://www.tagesspiegel.de/wissen/gegen-rechtsextremismus-viele-hochschulen-positionieren-sich-offentlich-11150665.html.
6 Siehe auch: Forschung & Lehre (2024) »Stimmen aus der Wissenschaft betonen Bedeutung des Rechtsstaats.«, Abgerufen am 12. März 2024, von https://www.forschung-und-lehre.de/politik/stimmen-aus-der-wissenschaft-betonen-bedeutung-des-rechtsstaats-6186.