*Der Beitrag spiegelt die persönliche Meinung des Autors wider und entspricht nicht zwangsweise der Meinung der VDW.

Eine Antwort auf Andreas Diekmann 

Dem in Paris geschlossenen Abkommen [2015 gegen die Erderhitzung durch Treibhausemissionen,jb] ist der Geburtsfehler eigen, dass Erkenntnisse der Kooperationsforschung weitgehend ignoriert wurden“, schreibt der angesehene emeritierte Soziologe der ETH Zürich und Leiter einer Leopoldina-Arbeitsgruppe Andreas Diekmann in seinem Buch „Klimakrise. Wege aus dem Dilemma“, Nomos-Verlag 2024, S. 15. Nun kann ich mir vorstellen, dass diese Erkenntnisse der soziologischen Kooperationsforschung 2015 in Paris nicht versehentlich aus mangelnder soziologischer Bildung ignoriert wurden, sondern absichtlich: Womöglich war die absehbar mangelhafte Durchsetzbarkeit der Beschlüsse von Paris der Preis dafür, dass sie überhaupt von fast 150 Nationen beschlossen wurden. Das wäre selbstverständlich nicht besser, sondern schlimmer als bloße Ignoranz. Die KlimaphysikerInnen der Vereinigung deutscher Wissenschaftler (VDW) werden beurteilen können, wie es war. Seit sich 18 deutsche Atomphysiker vor 67 Jahren öffentlich gegen die Atombewaffnung der Bundeswehr wandten und einige von ihnen 1959 die VDW gründeten, sind eine ganze Reihe deutscher Klimaphysiker: innen Mitglieder der VDW geworden oder haben mit Mitgliedern der VDW zusammengearbeitet.
Was sind die Erkenntnisse der von Diekmann gemeinten speziellen Kooperationforschung
Seit mindestens 100 Jahren (Friedrich Engels schon deutlich früher) hat die Soziologie – mit großer Ausstrahlung in das bekannte Teilfach der Soziologie, die Ökonomie – sich der Frage gewidmet, unter welchen durchaus unwahrscheinlichen Bedingungen es zu einem kooperativen Handeln von Akteuren, die ihre eigenen Interessen schweigsam kalkulieren, im gemeinsamen Interesse aller überhaupt kommt. Denn dass ein Zustand im Interesse aller liegt (wie z.B. ein Leben und Gut rettender Deich, eine gemeinsame Straße, eine gemeinsame Alm oder die gesundheitlich hochrelevante Reduktion der Erderhitzung) und sie sogar von allen explizit gewünscht und eine Beteiligung aller an der Erstellung normativ erwartet wird, heißt keineswegs, dass sich alle an seiner Erstellung beteiligen. Im Gegenteil. Motivation und Einsicht reichen oft, insbesondere bei hohen notwendigen individuellen Aufwänden (Frey/Bohnet 1996), keineswegs. Denn kollektive Güter haben eine Eigenschaft: Einmal erstellt, kann niemand von ihrem Nutzen ausgeschlossen werden, ob er sich an seiner Erstellung beteiligt hat oder nicht. Damit ist ein zweifaches Interesse erzeugt: Einerseits hat man ein Interesse am Kollektivgut, andererseits hat man ein Interesse daran, dass alle anderen zu seiner Erstellung viel beitragen und man selbst als Trittbrettfahrer möglichst wenig. (Das hat Friedrich Engels bereits in seiner populären Broschüre „Lohn, Preis, Profit“ durchdekliniert.) Das Interesse am Trittbrettfahren bleibt selbst dann bestehen, wenn die Nutzer sich im Laufe der Zeit immer besser kennenlernen und die „Trittbrettfahrer“ unter ihnen moralisch verurteilen, wie es Axelrod 1984 als „Evolution der Kooperation“ beschreibt. Denn das führt zwar zu allerlei Sanktionen gegen Trittbrettfahrer, beseitigt aber das Interesse am Trittbrettfahren nicht (zu Theorien kultureller Evolution siehe zusammenfassend z. B. Behrens 2019). Im Ergebnis kommt das Kollektivgut, obwohl alle an ihm ein Interesse haben, oft nicht zu Stande. Selbst wenn ein Kipppunkt allen bekannt ist, von dem an alle Beteiligten 90 Prozent ihres Vermögens sicher verlieren, führte das im Experiment mit Studierenden nicht regelmäßig dazu, dass sich alle genügend an der Erstellung des Kollektivguts beteiligen (Diekmann 2024, S. 66).
(Es bedarf keiner Erwägung, dass eine Kooperationsforschung im weiteren Sinn in der Soziologie fundamental im Anschluss schon an C.S.Peirce und Mead die Frage behandelt, wie es zu intersubjektivem Handeln, insbesondere kooperativem, in der menschlichen Entwicklung (seit der Geburt) überhaupt kommt (vgl. zusammenfassend z.B. Behrens 2019). Die spezielle Kooperationsforschung, um die es Diekmann geht, setzt dagegen bereits solche natürlichen und juristischen Personen voraus, die ihre Impulse kontrollieren, ihren Mund halten und spieltheoretisch ‚rational‘ ihre Chancen kalkulieren können. Das dauert bekanntlich individuell entwicklungsgeschichtlich lange, bis es so weit ist. Dieser speziellen, von Diekmann souverän vertretenen Kooperationsforschung verdanken wir die Erkenntnis des Trittbrettfahrerproblems, um deren Bewältigung es im folgenden geht.)
Bewältigungsstrategie: Mischung aus individuellen private Anreizen und sozialem Ansehen
Die seit Jahrhunderten versuchte Lösungsstrategie des Trittbrettfahrens ist es, die Erstellung des Kollektivgutes mit privat individualisierbaren Anreizen für die Mitmachenden zu kombinieren. Die meisten dieser Anreize bestehen in einer Mischung aus sozialem Ansehen und individuellem privaten Gewinn. Das zeigt eine laufende Langzeit-Beobachtungsstudie mit Arbeiterbauern in Colloro in den piemontesischen Alpen, die seit Generationen zu Dorffesten die Kollektivgüter „Instandhaltung der nicht-staatlichen Dorfstraßen und der Almen (‚Allmende‘) schaffen. Wer mittut, ist sichtbar und kann „una bella figura“ machen. Aber viele sind jedes Jahr körperlich nicht in Lage oder durch wichtige Pflichten außerhalb des Ortes entschuldigt. Deshalb gibt es auf den Festen eine privat zu vereinnahmende Kuttelsuppe und eine Tombola, deren Erträge in die Allmende fließen, z.B. zum Kauf von Baumaterialien. Selbst wer keinen einzigen Tombola-Gewinn attraktiv findet und Kuttelsuppe nicht mag, wird sich ein Los kaufen – oder sich mit einer Barspende entlasten.
Klimaschutz ist ein typisches, allerdings globales Kollektivgut
Klimaschutz“ ist zweifellos ein globales Kollektivgut. Da ist Andreas Diekmann völlig recht zu geben. Als Kollektivgut erzeugt „Klimaschutz“ das Interesse an Trittbrettfahrerei. Erschwerend kommt hinzu – und nur deswegen ging ich so ausführlich auf die Allmende im derzeitigen Colloro ein -, dass die Sichtbarkeit und Durchsichtigkeit der Handlungen unter Anwesenden, wie sie unter den 250 BürgerIinnen Colloros gegeben ist, in der globalen Allmende nicht existiert.
Andreas Diekmann erörtert zahlreiche marktliche und staatliche Strategien, die die selektiven Anreize wie in Colloro im Globalen Klimaschutz nachbilden können. So plausibel sie sind, wenn er auf die ‚Politik‘ zu sprechen kommt, vergisst er etwas die Erkenntnisse der speziellen Kooperationsforschung. Das wird am Ende die Hauptkritik an Andreas Diekmanns Buch in dieser Antwort sein.
Marktlogik oder Staat 

Marktlogik oder Staat ist die Frage, um es verkürzt auf eine Formel zu bringen“, schreibt Diekmann, S. 105. Sollte angesichts des Trittbrettfahrer-Dilemmas das richtige Tun nicht einfach ordnungsrechtlich vorgeschrieben und sanktioniert werden? Einige Allmenden gehen tatsächlich mit ziemlicher Gewalt gegen Mitglieder vor, die sich zu drücken scheinen (Dieckmann S. 64 am Beispiel der Allmendebauern in der Schweizer Alpengemeinde Törbel. Das Beispiel Colloro zeigte allerdings, dass es immer gute Entschuldigungsgründe für mangelnden Einsatz gibt). Ordnungsrechtliche Vorschriften und Sanktionen sind in liberalen demokratischen Staaten auch dann nicht unüblich, wenn es um die ureignen Interessen der einzelnen Person geht. Selbst dann erscheint Zwang nötig und legitimierbar. So sind Einzahlungen in die gesetzliche Rentenversicherung Pflicht, weil vermutet wird, viele würden das Sparen für ihre eigene Zukunft als Ruheständler nicht im selben Maße freiwillig leisteten. Schwarzarbeit ist deshalb eine streng sanktionierte Ausweichstrategie zur Pflicht zur Einzahlung in die Rentenversicherung. Und was das Klima angeht, insbesondere den CO2 Ausstoß, so ist die Verletzung von Vorschriften einfach festzustellen. Denn der CO2-Ausstoß vieler Handlungen ist im Voraus bekannt. Warum also nicht im Interesse aller auf den Staat und seine ordnungsrechtlich sanktionierten Vorschriften setzen, um Trittbrettfahren zu verhindern? Viele Staaten gingen diesen Weg. So sind z.B. in Dänemark Öl- und Gasheizungen in Neubauten bereits seit 2013 verboten.

Staatsversagen und Marktversagen  

Es gibt fünf wesentliche Gründe gegen die Funktionsfähigkeit staatlich ordnungsrechtlicher Vorschriften und Sanktionen. Zwei von diesen fünf Gründen nennt Andreas Diekmann selbst.

  1. Informationen für individuelle Entscheidungen sind eher bei den einzelnen Akteuren als beim Staat vorhanden (Diekmann S. 108).
    Das spricht eher für Einflüsse über Preise durch Subventionen und Steuern als ausschließlich über Gebote und Verbote. Selbst die DDR und die RGW-Staaten sprachen von effizienter „pretialer Lenkung“.
  2. Kontrollen und Sanktionen verbrauchen viele Ressourcen, die dann woanders fehlen. Orientierung an Preisen kommt mit weniger staatlichen Kontrollen und Sanktionen aus. Diesen Grund sieht Diekmann implizit auch. (Selbstverständlich wäre es noch viel kostengünstiger und am kostengünstigsten überhaupt, würden verinnerlichte Normen – also das eigene Gewissen – alle zu hinreichend kooperativen Anstrengungen veranlassen, ohne dass irgendjemand nach den Vorteilen des Trittbrettfahrens schielte. Darin ist Frey und Bohnet 1996 zuzustimmen. Allerdings zeigt das berichtete Beispiel des Dorfes Colloro, dass selbst unter seit Generationen zusammenlebenden Familien es immer Entschuldigungen für Zurückhaltung bei den Gemeinschaftsarbeiten gibt und Trittbrettfahren ein bleibendes Thema ist. An der Zustimmung zu gemeinsamen Normen fehlt es dabei nicht.)
  3. Mit staatlichen Vorschriften und Sanktionen identifizieren sich Nachbarschaften – so die in Gemeindestudien gewonnene, bisher nicht widerlegte Hypothese (Behrens in Hondrich 1983) – weniger als mit Regeln, auf die sie sich selbst im nachbarschaftlichen Verkehr einigten. Auch wenn die Legislative aus repräsentativ gewählten Parlamentsabgeordneten besteht, werden die Abgeordneten zu wenig als selbstgewählte VertreterInnen und nahe Nachbarn angesehen, um die Gesetze – z.B. Steuergesetze – als nachbarschaftlich beschlossene zu begreifen. So verliert ein Selbständiger, dessen Praxis oder Kanzlei und Gericht wenige Hundert Meter von seiner Wohnung entfernt liegen, nicht die Achtung seiner Nachbarn, wenn er die Kosten seines PKWs zum erheblichen Teil als Werbungkosten steuermindernd angibt. Auf diese Grenze der Wirksamkeit staatlicher ordnungsrechtlicher Maßnahmen geht Diekmann kaum ein.
  4. Staatliches Handeln ist selbst ein Kollektivgut. Bei seiner Erstellung durch Parteien und anderen Beteiligten ergeben sich, wie wir unten noch erläutern, dieselben Gewinne für Trittbrettfahrer, wie bei anderen Kollektivgütern auch. Das behandelt Andreas Diekmann nicht genügend. Er erörtert Politik, als sei sie hauptsächlich durch das gemeinsame, vertraglich verabredete Ziel bestimmt – und als erzeuge das Kollektivgut Politik nicht neben dem gemeinsamen Ziel auch das starke Interesse am Trittbrettfahren bei den Fraktionen.
  5. Diekmanns Alternative „Marktlogik oder Staat“ (S. 105) kommt eigentlich im wirklichen Leben gar nicht vor. Vielmehr sind Märkte und Staaten untrennbar voneinander abhängig. Selbst der globalisierte, internationale Finanz- und Warenmarkt könnte keinen Tag überdauern, stünde er nicht unter dem Schutz der Staatsgewalt, ihrer Gerichtsvollzieher, Polizei und Gerichte. Umgekehrt bedeuten staatliche Vorschriften keineswegs, dass die Marktlogik außer Kraft gesetzt wäre. Staatliche Vorschriften wirken als Anreiz- und Kostenstrukturen, bei denen Marktteilnehmende sich überlegen, wie sie diese am besten für ihre Interessen nutzen können. Daher ist es vermutlich falsch, „Marktlogik und Staat“ als Alternativen zu denken. Es handelt sich vielmehr um ein einziges Geflecht. Wenn man genau hinsieht, behandelt auch Diekmann in seinen „Wegen aus dem Dilemma“ (Untertitel seines Buches) alle seine souverän und materialreich diskutierten Maßnahmen als Maßnahmen eines einzigen Geflechtes. Dabei kompensieren sich Staatsversagen und Marktversagen keineswegs wechselseitig. Oft schaukeln beide Versagen sich wechselseitig auf.
Elinor Ostrom: kommunale und zivilgesellschaftliche Aktionen gegen Markt- und Staatsversagen

Angesichts von Markt- und Staatsversagen hat sich die Allmendeforscherin Elinor Ostrom 2010 deutlich vor dem Pariser Abkommen für „Polycentric Systems for coping with collective action and global environmental change“ in der Zeitschrift ‚Global Environmental Change‘ 20, S. 550-557, ausgesprochen. Wenn globale Verträge – wie z.B. das spätere Pariser Abkommen von 2015 – noch nicht effektiv wirkten, sollten regional und lokal ökologische Modellprojekte und Innovationen mit Wirkung auf die unmittelbare Umwelt und das Umweltbewusstsein überall initiiert werden. Das ist in der Tat geschehen. Aber eben regional und lokal. So kann man z.B. in der sozialökologischen selbstverwalteten Möckernkiez-Genossenschaft in Berlin-Kreuzberg mit fast 1000 wohnenden Mitgliedern auf kein Sommerfest gehen, ohne dass bereits Zwölfjährige einem anbieten, den individuellen CO2-Fußabdruck auszurechnen und Tipps für die Veränderung des eigenen Lebens und der Umwelt zu geben. Manches erinnert an die Allmende von Colloro. Vieles wurde in der Genossenschaft umgesetzt, manches auch im Stadtviertel. Aber Andreas Diekmanns Einwand ist nicht von der Hand zu weisen: „Umweltbewusstsein ist wichtig, um Unterstützung für globale Abkommen zu gewinnen. Die Schattenseite ist aber auch hier, dass Trittbrettfahrer sich auf das Engagement anderer verlassen [in der überschaubaren Möckernkiez-Genossenschaft weniger zu beobachten, jb] und Unternehmen, die in einer Vorbildregion stärker als in anderen Orten reguliert werden, diese Region verlassen könnten (carbon leakage)“ (Diekmann S. 65). Sein Fazit: „Trotz des Engagements von Bürgerinitiativen, NGOs, Unternehmen und einzelnen Städten und Gemeinden ist der globale Treibhausgasausstoß stetig angestiegen“ (Diekmann, S. 65). Die Behauptung des stetigen Anstiegs stimmt zwar nicht, weil die Reaktionen auf Covid-19 zu einem kurzen Rückgang führten, aber im Trend hat Diekmann recht.

Unterschied Ozonloch und Erderhitzung: kooperationssoziologische Erklärung 

Mit der soziologischen Kooperationstheorie des Trittbrettfahrens lässt sich gut der Unterschied zwischen der Behandlung des Ozonlochs auf der Konferenz von Montreal 1987 und der Behandlung des Klimawandels auf der Konferenz von Kyoto erklären: Die USA konnten schon allein durch das Verbot von Treibgas (FCKW) in der eigenen US-Industrie einen messbaren Erfolg erringen. Für diesen Erfolg brauchten sie die Zustimmung der zögerlichen europäischen Länder gar nicht. Schon Mancur Olson hat 1968 in der „Logik kollektiven Handelns“ herausgestellt, ein Kollektivgut (z.B. ein Deich) würde dann wahrscheinlicher erstellt, wenn der individuelle Gewinn bereits eines großen Akteurs durch dieses Kollektivgut dessen Kosten deutlich überstiege. Dann baute dieser Akteur den Deich, auch wenn andere Nutznießer nicht mittäten. Für die USA standen, wie die US-Umweltbehörde EPA schätzte, Kosten von 21 Milliarden $ durch die Produktionseinstellung von FCKW einerseits einem Nutzen von etwa 1373 Milliarden $ durch die Reduktion von Hautkrebsfällen und anderer Schäden gegenüber. So kam es zum Verbot der Erstellung des Gases in Montreal 1987: 187 Staaten verpflichteten sich in Montreal, die Produktion in ihren Ländern mit scharfen Sanktionen zu verbieten, um das Kollektivgut „Schutz der Ozonschicht“ zu erstellen (vgl. Cass Sunstein 2007), wobei es zum raschen Ausstieg aus der FCKW-Produktion erst bei der zweiten Vertragsstaatenkonferenz zum Montrealer Protokoll in London 1990 kam; das Protokoll gehört zum Wiener Abkommen über den Schutz der Ozonschicht aus dem Jahr 1985. Die Konferenz von Kyoto überwand dagegen das Trittbrettfahrerproblem nicht. Der Nobelpreisträger William Nordhaus behauptet, dass das Kollektivgut „Begrenzung des Klimawandels“ das Kooperationsprobelm eines Gefangenendilemmas einschließt. Die dominante Strategie sei es, auf fossile Energien zu setzen; wer kooperativ CO2 einspare, werde das Opfer von Trittbrettfahrern. Diese Ansicht wird von vielen Klimawissenschaftlern geteilt. Es gehört sicherlich zu den Höhepunkten des Buches von Andreas Diekmann, wenn er auf den Seiten 74 bis 80 berechnet, mit dem Preissturz bei erneuerbaren Energien könne sich die Kooperationsstruktur des Kollektivgutes „CO2 Reduktion“ der Kooperationsstruktur des Kollektivgutes „Schutz der Ozonschicht“ annähern.

Drei – sich nicht ersetzende – Maßnahmen der Klimapolitik 

Am Ende sind es drei Gruppen von Maßnahmen, die Andreas Diekmann als prioritär ansieht. Sie müssen sich ergänzen: a) der Ausbau der Infrastruktur, b) CO2 –Abgaben mit Rückzahlung an Niedrigverdiener und c) internationale Klimaabkommen mit so scharfen Sanktionen wie bei den Welthandelsabkommen.
Zu a) der Ausbau der Infrastruktur folgt nicht automatisch den Erhöhungen des CO2-Preises. Sie muss also unabhängig von der Energiepreis-Gestaltung erfolgen.
Zu b) Erst durch die Erhöhung des CO2 Preises auf 200 € pro Tonne wird die Lenkungswirkung und auch der Ausgleich sozialer Ungleichheit durch die Rückzahlung (Klimageld) an wenig Verdienende merklich, (Oxfam 2022, Diekmann 2024, S. 151). Das gilt nicht nur in jedem einzelnen Land, sondern auch zwischen den Staaten. Die Demonstrationen der Gelbwesten in Frankreich entstanden, als der CO2 Preis für die wenig Verdienenden nicht ausgeglichen wurde. In der Schweiz werden 2/3 der Einnahmen aus dem CO2 -Aufschlag als Klimageld zurückgezahlt, 1/3 geht in die Finanzierung klimabezogener Infrastruktur. Das deutsche Umweltbundesamt hatte schon vor langer Zeit den Schaden pro Tonne CO2 auf 200 € geschätzt. Ein Preis von 200 € pro Tonne ist also nur die Internalisierung externer Kosten. Andreas Diekmann ist recht zu geben: Die Bewältigung sozialer Ungleichheit ist Kern der Klimapolitik.
Zu c) Das Welthandelsabkommen kennt scharfe Sanktionen. Die mittlerweile 28 Vertragsstaaten-Konferenzen zur Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen haben sich zu ähnlich scharfen Sanktionen nicht durchringen können. Der Ausstoß von Treibhausgasen ist nur regional etwas geschrumpft, aber weltweit noch angestiegen. „Trittbrettfahrer profitieren“, darin ist Diekmann S. 155 zuzustimmen, „zumindest solange fossile Energie billiger ist als erneuerbare Energien, von Ländern, die CO2-Preise einführen“. CO2-Mindestpreise müssen durch Sanktionen ergänzt werden, um Anreize für unkooperatives Trittbrettfahren zu nehmen. Objektiv gibt es diese Anreize zum Trittbrettfahren (noch) reichlich.

Setzt die Bewältigung der Erderhitzung das Ende des Kapitalismus voraus?

Zweifellos ging der enorme Ausstoß von CO2 mit der Entwicklung des Kapitalismus örtlich und zeitlich einher. Daher sehen viele im Ende des Kapitalismus die Voraussetzung dafür, dass wir unseren Kindern und Enkeln einen nicht durch menschengemachte Erderhitzung lebensfeindlich gemachten Planeten hinterlassen. Allerdings deutet nichts darauf hin, dass der Kapitalismus in den wenigen Jahren, die uns noch für Klimapolitik bleiben, abgeschafft werden kann. In dieser kurzen Zeit kann es auch für Diekmann nur um die Einhegung des digitalen Kapitalismus gehen (Diekmann S. 158).

Wo Diekmann zu ergänzen ist: Auch politische Entscheidungen sind ein Kollektivgut, das Trittbrettfahren in Koalitionsregierungen und Parlamenten lohnend macht
Auch politische Entscheidungen sind ein Kollektivgut, das Trittbrettfahren in Koalitionsregierungen und Parlamenten lohnend macht. Das behandelt Diekmann systematisch nicht. Vielmehr wendet er sich an die Politik‘, als reagiere sie wie ein einheitlicher Souverän unmittelbar auf das wissenschaftliche Argument ,sinnvoll wäre die Implementierung folgender Maßnahmen‘ . Das wird aber der harten Arbeit politischer Parteien nicht gerecht – gerade, wenn man die von Diekmann so beredt vertretene Perspektive der speziellen Kooperationssoziologie einnimmt. Anders als im faktischen Zwei-Parteien-System der USA mit seinen Kompromissen auf den Parteitagen bilden sich in Deutschland wie in vielen anderen demokratischen Staaten Koalitionen nicht vor dem Wahlkampf. Sondern erst, wenn die Wahlergebnisse vorliegen, verhandeln die Parteien über Koalitionen. Der Koalitionsvertrag liest sich dann wie ein einheitlicher politischer Wille. Andreas Diekmann schreibt von der ‚Politik‘ fast überall im Singular. Er sieht die gemeinsamen Ziele eines Koalitionsvertrags nicht als Kollektivgut, das sofort Interessen an Trittbrettfahrerei erzeugt, sondern als einheitliche Absicht.
Nehmen wir an, eine Koalition bestünde aus den Parteien F, G und S. Alle drei Parteien haben ein weiterhin konkurrierendes Interesse an einer möglichst hohen Stimmenzahl bei der nächsten Wahl. Bei der Erreichung dieses Ziels kann eine möglichst erfolgreiche Umsetzung des Koalitionsvertrags helfen. Aber eindeutig stehen sie auch unter dem Druck, sich bei den Wählerinnen und Wählern als besondere Partei zu profilieren. Denn die Gründung einer neuen gemeinsamen Partei „FGS“ ist fast nie das Ziel einer Koalition.
Wenn nun die mittlere Partei G einen alle überzeugenden Vorschlag zur Erreichung des Koalitionsvertrags und des Klimaziels macht, ist dann zu erwarten, dass F und S augenblicklich in zustimmende Begeisterung ausbrechen? Nein; gerade, wenn sie davon ausgehen, dass der Vorschlag gut ist und vermutlich realisiert werden kann, haben sie ein Interesse, ihre Attraktivität für Wählende durch eine Reihe von Berichtigungen und Gegenpositionen zu profilieren. Die Realisierung des Vorschlags mag ein Kollektivgut im Interesse aller sein. Gerade dann geht es darum, sich bei der Wählerschaft mit Trittbrettfahrer-Vorteilen zu profilieren. Daher ist es geradezu gesetzmäßig zu erwarten, dass G als zu vorschnell, zu unsozial, zu verbietend gebrandmarkt wird. Symbolische Ausnahmen für die eigene Klientel, wie die Verhinderung von Tempo 130 auf den Autobahnen, gewinnen gerade dann an Bedeutung, wenn das Kollektivgut Koalitionsvertrag einigermaßen zu realisieren ist. Wenn G für alle Zumutungen und Kosten der Entwicklung für zuständig erklärt werden kann, lohnt es sich für F und S, sich gefahrlos für Abmilderungen und Bremsungen zu profilieren.
Dass die Logik des Trittbrettfahrens bei Kollektivgütern auch für Koalitionsregierungen gilt, liegt im Rahmen der Erkenntnisse der speziellen Kooperationsforschung, auf die sich Andreas Diekmann einleuchtend beruft. Vielleicht könnte man da noch konsequenter weiterarbeiten. Es sind keinesfalls nur „populistische Parteien“, wie Diekmann S. 17 meint, und „Gelbwesten“ (Diekmann S. 17), die „Wählerstimmen durch Klimaleugnung und Antiklimapolitik gewinnen“ wollen (Diekmann S. 17). Vielmehr gilt der Anreiz des Trittbrettfahrens für alle – und sollte, wie die Arbeiterbauern in Colloro das tun, immer eingerechnet und berücksichtigt werden, wenn er in den Kooperationsstrukturen angelegt ist. Dann entwickelt sich aus der speziellen Kooperationsforschung womöglich eine Lehre klugen Handelns in Koalitionen und Parlamenten: ein Handeln, welches das gleichzeitige Interesse am Kollektivgut wie am Trittbrettfahren respektiert und in der Absprache über Rollen und Positionen zu bewältigen sucht – um das Kollektivgut nicht zu gefährden. In Betrieben und Familien wurden solchen Rollen- und Positionsverteilungen schon beobachtet.
Danksagung: Für zahlreiche Kürzungsvorschläge und einige Präzisierungen danke ich dem emeritierten Direktor des Max-Planck-Institutes für Meteorologie und langjährigen Vorsitzenden der VDW, Hartmut Graßl.

Literatur:

Axelrod, Robert, 1984: The Evolution of Cooperation. New York: Basis Books
Behrens, Johann, 2019: Theorie der Pflege und der Therapie. Bern, Oxford: Hogrefe
Behrens J, „Bedürfnisse“ und „Zufriedenheiten“ als Statussysmbole und Anrechte. Lehren aus einem Panel für Bedürfnistheorie und Planung, in: Hondrich, K. O, Vollmer, R. (Hrsg.), Bedürfnisse. Stabilität und Wandel. Theorie, Zeitdiagnose, Forschungsergebnisse, Opladen: Budrich 1983, S. 193 – 244.
Diekmann, Andreas, 2024: „Klimakrise. Wege aus dem Dilemma“, Baden-Baden: Nomos-Verlag
Frey, Bruno S. & Bohnert, Iris: Tragik der Allmende. Einsicht, Perversion und Überwindung, in: Diekmann, Andreas & Carlo C. Jaeger (Hrsg.): Umweltsoziolgie, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Sonderheft 36/1996, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 292-307
Ostrom, Elinor, 2010: „Polycentric Systems for coping with collective action and global environmental change“ in: ‚Global Environmental Change‘ 20, S. 550-557

Prof. Dr. Johann Behrens
Prof. Dr. Johann Behrens
Nach dem Abitur im nordhessischen Steinatal und frühen Jahren als Rettungssanitäter, Kindergärtner und Fernsehjournalist beim HR studierte Johann Behrens Philosophie, Soziologie, Ökonomie, Sozialmedizin und Pflegewissenschaften in Frankfurt a. M., Heidelberg und Detroit. Er wurde Diplom-Soziologe, Dr. phil. und Assistent in Frankfurt a. M. und bildete sich als Gastprofessor in Institutionsanalyse und Sozialpsychologie am Kurt Lewin Center der UofM , Ann Arbor fort. Seine Habilitationsäquivalenz in Therapie-, Pflege- und Gesundheitswissenschaften wurde von der Universität Bremen festgestellt. Darüberhinaus habilitierte er in Sozialökonomie (Bochum). Behrens diente dem DFG-Sonderforschungsbereich 3 (Mikroanalytische Grundlagen der Gesellschaftspolitik, Frankfurt und Mannheim) als Kooperand sowie als Antragsteller, Projektleiter und Vorstand, teilweise als Sprecher, dem Zentrum für Sozialpolitik (Bremen), dem DFG-SFB 186 (Statuspassagen und Risikolagen im Lebensverlauf, Bremen 1988-2000), dem DFG-SFB 580 (Gesellschaftliche Entwicklungen nach dem Systemumbruch, Halle und Jena, 2000-2012), den BMBF-Verbünden ‚Demographischer Wandel und Zukunft der Arbeit‘ sowie „Evidencebasierte Pflege chronisch Kranker und Pflegebedürftiger in kommunikativ schwierigen Situationen‘. Das Nationale Zentrum für Frühe Hilfen gründete er als berufenes Mitglied des Gründungsbeirats mit. 1998 gründete Behrens mit Kolleginnen und Kollegen das erste Center for Evidence based Nursing auf dem eurasischen Festland. 1999 wurde er in Halle-Wittenberg Gründungsdirektor des ersten Institutes für Gesundheits- einschließlich Therapie- und Pflegewissenschaften an einer deutschsprachigen öffentlichen Medizinischen Fakultät. Sein Publikationsschwerpunkte sind außer Pflege, Therapie und Arbeitsmarktpolitik vor allem historisch anthropologische Erkenntnis-, Entscheidungs- und Handlungstheoie. Er hat Professuren und Gastprofessuren u. a. in Ann Arbor (UofMichigan), Fulda, Halle-Wittenberg, Innsbruck, Kassel, Gmünd, Toronto und Hamilton (McMaster), Bochum, Luxemburg, St. Gallen. Zusätzlich lehrt er im Halleschen Graduiertenkolleg und Promotionsstudiengang „Selbstbestimmte Teilhabe als Ziel von Pflege und Therapie“. Behrens war langjähriger Vorstand der Dekanekonferenz Pflegewissenschaft und Member oft the Board der Commission for Evaluation der ICOH/WHO und ist seit 1982 gewählter Vorstand des Frankfurter ‚Instituts für Supervision, Institutionsanalyse und Sozialforschung‘ sowie im VDW Sprecher der SG „Gesundheit als selbstbestimmte Teilhabe“ und im Beirat.