*Der Beitrag spiegelt die persönliche Meinung des Autors wider und entspricht nicht zwangsweise der Meinung der VDW.

Bereits in den siebziger Jahren gab es wissenschaftlich begründete Warnungen vor den Folgen der weltweiten CO2-Emmisionen für Klimaschäden.<sup>1</sup> Völkerrechtlich verbindliche Maßnahmen gegen die Erderwärmung enthielt das Kyoto-Protokoll von 1997 für Industrieländer und das Paris-Abkommen von 2015 für alle Länder. Seither gab es in Industrieländern wie in der EU eine wenn auch ungenügende Absenkung von CO2-Emmisionen (s. Abbildung 1), nicht zuletzt auch durch Aktivitäten von NGO’s wie der Friday-for-Future-Bewegung.

Abb 1 schneider blog jan 2025

https://de.wikipedia.org/wiki/Energiewende_nach_L%C3%A4ndern
Abb. 1 Vergleich der CO2-Emissionen in der EU mit denen in Indien und Dänemark zwischen 1850 und 2022 (die Abbildung ist in englischer Sprache, die Einheiten entsprechen der deutschen Million und Milliarde)

Die Klimabelastung der Welt durch die Nutzung fossiler Brennstoffe geht nahezu ausschließlich auf die Industrialisierung des Nordens seit der Mitte des 19.Jahrhunderts zurück.2, 3 Der Globale Süden war daran zunächst kaum beteiligt, leidet aber ungleich stärker an den Folgen der Erderwärmung. In Ländern des Südens wie Indien nehmen jedoch zurzeit im Gegensatz zu denen im Norden die CO2-Emmisionen in einem bisher zu wenig beachteten Ausmaß erheblich zu. Schon jetzt übertreffen die Emissionen in Indien bereits die der gesamten EU. Dennoch haben die Länder des Globalen Südens zu der heute bestehenden CO2-Belastung der Welt durch die Nutzung fossiler Brennstoffe kaum beigetragen, Brasilien gerade mal 1 %, Subsaharaländer wie Nigeria etwa 0,1 % (Abbildungen 2 und 3). Die Klimaänderung durch Treibhausgasemissionen bei Landnutzungsänderungen (meist Abholzung) macht manche dieser Länder wie Brasilien und Indonesien zu kräftigeren Emittenten.

Die Länder des Globalen Südens wehren sich gegen Forderungen, ihre Industrialisierung mit Rücksicht auf die Klimabelastung beschränken. Der indische Präsident Modi sagte 2015 bei der Pariser Klimakonferenz „Die Gerechtigkeit verlangt, dass es mit dem bisschen Kohlenstoff, den wir noch sicher verbrennen können, den Entwicklungsländern erlaubt ist, zu wachsen“. Der indische Klimaforscher Pachauri, langjähriger Vorsitzender des Weltklimarates IPCC, fordert, dass der Norden angesichts der von ihm verursachten Klimaschäden die armen Länder des Südens für die Folgen des Klimawandels entschädigt. Südafrika verfügt über die weltweit größten Kohlevorkommen, und nutzt diese mit 80% für die Stromerzeugung; ein weiterer Ausbau ist mit Unterstützung auch europäischer Firmen geplant.4 Bei der Weltklimakonferenz 2022 in Ägypten haben Deutschland und andere Industriestaaten zwar Milliardenhilfen an Südafrika für die Abkehr von der Kohle zugesagt. Dass diese für einen Verzicht nicht ausreichen, steht schon jetzt fest, zumal gerade Deutschland in erheblichem Umfang Kohle aus Südafrika importiert.5

Das muss all denen zu denken geben, die sich auch in Deutschland für den Klimaschutz engagieren, zumal sich der Beitrag an CO2-Emmisionen hier im Vergleich zur gesamten Welt auf weniger als 2 % bemisst. Umso mehr müssten Engagierte für Klimagerechtigkeit, auch Wissenschaftler sich auf den Ausgleich der durch die Industrialisierung des Nordens angerichteten Schäden im Süden konzentrieren. Angesichts der immer noch klaffenden Ungerechtigkeit zwischen Verursachern und Leidtragenden des Klimawandels ist es zu wenig, wenn sich die Forderungen etwa der FuF-Bewegung auf Maßnahmen in Deutschland konzentrieren,6 oder dass etwa eine radikale „Einschränkung der Braunkohlegewinnung in z,B. in Brasilien“ gefordert wird.7 Notwendig ist vielmehr eine radikale Umsteuerung von Investitionen, welche die Lebens- und Produktionsbedingungen im Globalen Süden verbessern. Bisher beträgt z.B. der Anteil von Investitionen in Afrika an allen deutschen Auslandsinvestitionen gerade mal etwa 1 %.8 Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) schätzt z.B. die Finanzierungslücke für kleine und mittlere Unternehmen alleine in Afrika auf über 300 Mrd. Euro.9 Staatlich unterstützt werden bisher jedoch vor allem profitable Projekte deutscher Firmen, welche u.a. in Deutschland Arbeitsplätze und Exporte sichern – jeder Euro für Entwicklungshilfe zieht deutsche Exporte von 1,80 Euro nach sich.10 Steuerliche Maßnahmen könnten Kapitaleinkünfte bei Investitionen im Globalen Süden weniger, und solche bei Anlagen im Norden stärker belasten – zumal die letzteren ohnehin zu dem immer noch zu ungleich stärkeren Wirtschaftswachstum im Norden führen. Eine auch nur näherungsweise Angleichung des Lebensstandards im Süden an den des Nordens erfordert im Süden vor allem Investitionen für effektive Produktionsweisen ohne gesteigerten Einsatz fossiler Brennstoffe.

Es gibt auch z.B. in Indien durchaus selbständige und leistungsfähige Firmen, die etwa Photovoltaikanlagen produzieren. Die Zahlungsmoral von Kreditnehmern im Süden ist allgemein hoch und die Ausfälle niedrig.11 Berechnungen der Weltbank zeigen, dass jeder Euro, mit dem weltweit Gesellschaften krisenfester gemacht werden, für Steuerzahler im Norden später vier Euro an humanitärer Nothilfe einsparen.11 NGOs können als Motor für Entwicklungszusammenarbeit wirken.12 Die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler hat nachdrücklich auf die Vorreiterrolle der Wissenschaft für den Weg von (neo-)kolonialen Strukturen zu partnerschaftlichem Miteinander und die Verantwortung für Klimagerechtigkeit betont.13 Die vom ökumenischen Kirchenrat initiierte Genossenschaft Oikocredit hat seit Jahrzehnten Mikrokredite z.B. für Photovoltaik-Anlagen vergeben, welche bisher zum gleichen Wert in DM oder Euro zurückgezahlt wurden, und meist sogar Dividenden bis zu 2% p.a. erbrachten.14 Auch die Kirchen sind aufgerufen, wenigstens einen Teil ihrer Rücklagen für Investitionen im Süden zu verwenden.

Der Kampf gegen den Klimawandel ist gleichzeitig ein entscheidender Beitrag zum Kampf gegen Armut und Hunger in Entwicklungsländern. Bisher erfüllen nur diese etwa 65 besonders armen Länder die notwendigen Emissionsziele für die Limitierung der Erderwärmung.15 Die Forderung nach überfälligen Investitionen aus dem Norden in diesen Ländern für den Klimaschutz ist in den Abschlusserklärungen der G20 Rio de Janeiro- Konferenz16 gerade jetzt wieder erhoben worden, welche mit den Stimmen der Industrieländer überraschend einhellig ein scaling up public and private climate finance and investment for developing countries verlangen. Die 29. Die Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen in Baku beschloss jetzt im November 2024 eine erhebliche Erhöhung von Ausgleichszahlungen der Industrieländer an Entwicklungsländer. Die Abbildung 2 verdeutlicht warum Entwicklungsländer die abschließend in Baku vereinbarte Summe von 300 Milliarden US-Dollar jährlich für viel zu gering halten.17, 18

Abb 2 schneider blog jan 2025

Abb. 2 Kumulative CO2-Emmissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe weltweit 1850-2011

Schon 1991 wurde von indischen Wissenschaftlern geltend gemacht, dass für einen Ausgleich der von den Industrieländern verursachten Klimaschäden die pro-Kopf -CO2-Emissionen in den einzelnen Ländern (s Abbildung 3) zugrunde liegen müssten.19 Neuere Berechnungen für nationale Emissionspläne berücksichtigen dementsprechend auch die Bevölkerungszahl der Länder.20 Die Finanzminister von Brasilien und Frankreich schlugen vor dem G20-Gipfel in Rio für die Bekämpfung von Klimawandel und Armut eine Besteuerung des Vermögens von Milliardären vor in Höhe von mindestens 2 % jährlich.21

Abb 3 schneider blog jan 2025

https://ourworldindata.org/co2-and-greenhouse-gas-emissions
Abb. 3 Pro Kopf-Emissionen von Treibhausgasen von 1800 bis 2023 nach dem Projekt Global Carbon Budget (2024)

Quellen

1 https://www.dpg-physik.de/veroeffentlichungen/publikationen/stellungnahmen-der-dpg/klima-energie/machen-menschen-das-wetter
2 https://www.bpb.de/themen/umwelt/anthropozaen/248861/kumulative-co2-emissionen-1850-2011/
3 https://www.carbonbrief.org/analysis-which-countries-are-historically-responsible-for-climate-change/; https://agupubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/2016GB005546; https://ourworldindata.org/co2-and-greenhouse-gas-emissions
4 https://blog.misereor.de/2016/05/25/suedafrika-willkommen-in-der-hoelle/
5 https://www.spiegel.de/wirtschaft/kohle-aus-suedafrika-massenhaft-brennstoff-fuer-deutschland-a-d8e0c081-93c9-493f-b16d-b19c463be139
6 https://fridaysforfuture.de/forderungen/
7 https://www.naturfreunde-berlin.de/demonstration-klima-retten-kohle-stoppen-28-juli-2018-1400-uhr-leipzig?page=5
8 https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/afrika-strategie-wie-deutschland-in-afrika-den-wettlauf-mit-china-gewinnen-will-/28871028.html ; https://bdi.eu/termin/news/compact-with-africa-erfolgreiche-initiative/
9 https://wirtschaft-entwicklung.de/fileadmin/user_upload/2_Finanzierung/Entwicklungsinvestitionsfonds/Downloads/AfricaGrow-Fonds.pdf
10 https://www.bundesregierung.de/resource/blob/2065474/408386/e08ddb05b6ea72906962736e4277f43a/2012-04-26-bmz-deutsche-entwicklungspolitik-data.pdf?download=1https://www.bundesregierung.de/resource/blob/2065474/408386/e08ddb05b6ea72906962736e4277f43a/2012-04-26-bmz-deutsche-entwicklungspolitik-data.pdf?download=1
11 https://www.kfw-entwicklungsbank.de/%C3%9Cber-uns/News/News-Details_793408.html
12 https://www.brot-fuer-die-welt.de/themen/entwicklungszusammenarbeit/
13 https://vdw-ev.de/jetztbesoffenheit-weizsaecker/ : https://vdw-ev.de/portfolio/aktionstage/
14 https://www.oikocredit.de/wirkung/wirkungsvolle-investitionen
15 WBGU. 2009. Solving the climate dilemma: The budget approach. Berlin: Wissenschaftlicher Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU)
16 https://www.g20.org/en/documents/g20-rio-de-janeiro-leaders-declaration
17 COP29: Ergebnisse der Weltklimakonferenz in Baku | Hintergrund aktuell | bpb.de
18 https://www.wwf.de/themen-projekte/klimaschutz/un-klimakonferenzen/cop29-in-baku
19 Anil Agarwal und Sunita Narain. 1991. Global Warming in an Unequal World: A Case of Environmental Colonialism. New Delhi: Centre for Science and Environment
20 WBGU. 2009. Solving the climate dilemma: The budget approach. Berlin: Wissenschaftlicher Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU)
21 https://www.climatechangenews.com/2024/04/19/global-billionaires-tax-to-fight-climate-change-and-hunger-rises-up-political-agenda/; https://www.bloomberg.com/news/articles/2024-04-18/taxing-the-super-rich-is-brazil-s-g-20-plan-for-climate-hunger

Prof. Dr. Hans-Jörg Schneider
Prof. Dr. Hans-Jörg Schneider
FR Organische Chemie der Universität des Saarlandes
E-Mail: ch12hs@rz.uni-sb.de
www.uni-saarland.de/fak8/schneider

Prof. Dr. Hans-Jörg Schneider, Jahrgang 1935 studierte ab 1955 Chemie, Biologie und Philosophie in Tübingen, München und Berlin (TU). Seine Promotion erfolgte 1967 in Tübingen. Von 1967 bis 1969 war er als PostDoc an der University of California, San Diego und 1969/70 als wissenschaftlicher Assistent bei Walter Hückel in Tübingen angestellt, während er seine Habilarbeit fortsetzte. Seit 1972 ist er Professor für Organische Chemie an der Universität des Saarlandes. Hans-Jörg Schneider ist zudem Autor/Herausgeber u. a. von fünf Fachbüchern und ca. 290 Publikationen inklusive zahlreicher Reviews. Früher war er Mitglied bei SDS, später bei VDW (seit Januar 2015), attac, etc.