*Der Beitrag spiegelt die persönliche Meinung des Autors wider und entspricht nicht zwangsweise der Meinung der VDW.
Klimawandel, Umweltverschmutzung und Naturverbrauch bedrohen zunehmend die Gesundheit vieler Menschen. Mehrere Organisationen, vor allem aus dem Medizinbereich, haben dies bereits eindrucksvoll thematisiert,[1] ebenso wie viele Publikationen und Workshops.[2] In Einklang mit der Fridays for Future-Bewegung geht es dabei bisher vor allem um die Forderung, die Belastung der Umwelt zu reduzieren und damit Gesundheitsschäden zu mindern. Man darf jedoch nicht verkennen, dass alleine dadurch der Gesundheit der meisten Menschen dieser Erde wenig geholfen wird, sondern dass viel weitergehende Maßnahmen erforderlich sind.
Die Beispiele in Abbildung 1 zeigen exemplarisch, dass sich die Menschheit nicht nur bezüglich ihres Wohlstands stark unterscheidet, sondern noch dramatischer bezüglich ihrer Gesundheit. Die immer noch ungleich größere Bedrohung des Lebens in den Ländern des Südens hat Ursachen, die weit über den Einfluss der Umweltbelastung hinausgehen. Zwar hat die fast ausschließlich auf die reichen Länder zurückgehende Umweltbelastung zu der Verödung vieler Gebiete des Globalen Südens und zunehmenden Unwetterschäden erheblich beigetragen. Der Globale Klima-Risiko-Index von Germanwatch zeigt, dass in den Entwicklungsländern zwischen 1998 und 2017 mehr als eine halbe Million Menschen als direkte Konsequenz von Extremwetterereignissen zu Tode kamen, und wirtschaftliche Schäden von etwa 3,5 Billionen US$ entstanden.[3] Es wäre jedoch eine Illusion anzunehmen, man könne die Folgen von Jahrzehnten Umweltbelastung und Jahrhunderten Kolonisation für die Länder des Südens durch Umweltverbesserungen im Norden ausgleichen. Die 15.000 täglich im Süden sterbenden Kinder werden durch ein besseres Klima kaum weniger.
Abb.1. Die Teilung der Welt in Reich und (relativ) Gesund sowie Arm und Krank. Vergleich (Daten für visuellen Vergleich umgerechnet) von: a) Einkommen pro Kopf, b) CO2-Emissionen aus fossilen Brennstoffen, c) Müttersterblichkeit bei Geburt, d) TBC, und e) Kindes-Todesfällen; a)-d) Daten pro Jahr (ca. 2017-2020); a) per Haushalt in US-$; b) CO2 in t; c), d) per 100.000 Einwohner; e) in %. [4], [5]
Wissenschaftler müssen versuchen, den wichtigsten Ursachen der katastrophalen Gesundheitslage im Süden auf den Grund zu gehen. Die Beispiele in den Abbildungen 1 und 2 belegen wie viele andere Analysen, dass die großen gesundheitlichen Gefahren in allererster Linie die Folge der Armut der betroffenen Menschen sind. Armut bedeutet Kinderarbeit, Mangelernährung (Kindstod ist mit 45 % auf Mangelernährung zurückzuführen), Hunger, mangelnden Zugang zu Wasser wie zu Pharmaka, und mangelnde Schulbildung. Hinzu kommt der eklatante Mangel an medizinischer Versorgung, welche durch die armutsbedingte Abwanderung von Fachpersonal in reichere Länder verschärft wird (s. Abb. 3).[6]
Abb. 2. Kindersterblichkeit (unter 5 Jahren, logarithmische Skala) im Vergleich zum Einkommen pro Kopf (2016); die Kreisgrößen indizieren die betreffende Variabilität innerhalb eines Landes.[6]
Abb. 3. Medizinisches Personal in armen und reichen Ländern.[6]
Die Zahlen in der Tabelle zeigen die Dimension des Problems: den armutsgefährdeten 2.700 Mio. Menschen stehen 2017 weniger als ein Drittel Europäer gegenüber, 2050 weniger als ein Fünftel, diese aber verfügen über ein vielfaches Einkommen und Vermögen (s.u.). Die Ursachenbekämpfung der lebensbedrohenden Situation im Süden[3],[7] braucht nicht nur Mediziner, sondern die Mitwirkung von Wissenschaftlern vieler anderer Disziplinen, wie Agrarökonomen, Ingenieuren, Volkswirten, Klima-, Politik- und Finanzwissenschaftlern.
Der Club of Rome hat auf einer breiten Grundlage zahlreiche Vorschläge für ein Universal Health Coverage vorgelegt, welches einen Planetary Emergency Plan verlangt, und von der Earth for All-Initiative des Clubs unterstützt wird.[8] Der gerade im Gesundheitswesen besonders tiefe Graben zwischen armen und reichen Ländern kann nur mit finanziellen Aufwendungen verkleinert werden, welche weit über die bisherige Entwicklungshilfe hinausgehen. In Deutschland beträgt diese immer noch gerade mal etwa 9 Milliarden Euro jährlich oder 2 % des Bundeshaushalts, wobei ein Teil auch deutschen Unternehmen zugutekommt. Mit deutlich erhöhten Ausgaben könnte zumindest ein Teil der Schäden ausgeglichen werden, welche die industriellen Länder durch ihre Umweltverschmutzung, und früher mit ihrer Kolonialpolitik, im Süden angerichtet haben. Ernst Ulrich von Weizsäcker hat wie schon zuvor indische Wissenschaftler vorgeschlagen, im Sinne einer Weltinnenpolitik jedem Menschen auf der Erde ein gleich großes CO2-Emissionszertifikat gutzuschreiben;[9] die Länder mit dem größten Reichtum und gleichzeitig den weitaus höchsten CO2-Emissionen müssten dann bis zu einem Gleichstand für jede neuemittierte Tonne CO2 den Wert eines Zertifikats an ärmere Länder transferieren. Wenn die in der Vergangenheit angerichteten Klimaschäden auch nur zum Teil mit einbezogen würden, könnte dies mit großen Summen zu einer Verbesserung im Süden beitragen, allerdings erhebliche Verzichte bei den Reichen im Norden erfordern.
Wer ein Gefühl für Gerechtigkeit bewahrt hat, kann vor den Problemen des Südens die Augen nicht verschließen. Corona hat die Lage in diesen Ländern bereits weiter verschlimmert.[10] Auch in den entferntesten Ländern sehen die Menschen täglich durch das Fernsehen den Wohlstand im Norden – eine steigende Zahl macht sich schon jetzt auf den Weg zu uns, obwohl viele dabei verdursten oder ertrinken. Pandemien werden sich durch vermehrte Beweglichkeit von Mensch und Tier weiter ausbreiten als je zuvor. In den Ländern des Nordens muss man nicht nur versuchen, auf eine überfällige Änderung der Politik hinzuwirken, sondern auch persönlich zu einer Verbesserung im Süden beizutragen. Der vielversprechendste Weg dazu führt über Mikrokredite, welche Geringverdienenden als Hilfe zur Selbsthilfe dienen. Solche Kredite helfen im Süden z. B. beim Bau von Brunnen, bei der Beschaffung von Saatgut, Wiederaufforstung, Anlagen zur Produktivitätserhöhung wie Webstühlen und Elektrizitätsgewinnung, aber auch beim Bau von Schulen, von Einrichtungen für Kranke, und der Ausbildung medizinischer Fachkräfte. Schulen und die Befreiung von Kinderarbeit können zu mehr Bildung und einen Rückgang der Geburtenhäufigkeit beitragen – für arme Familien im Globalen Süden bedeuteten viele Kinder bisher billige Arbeitskräfte und die einzige Sicherung bei Krankheit und Alter. Genossenschaften wie Oikocredit[11], Kiva[12], wie früher schon die Grameenbank[13] sammeln in reichen Ländern Gelder ein, welche im Süden als Mikrokredite für sozial, ökologisch und ökonomisch sinnvolle Projekte eingesetzt werden. Solche auch von landeseigenen Fachleuten geprüften Kreditvergaben vermeiden den Weg über oft korruptionsanfällige staatliche Institutionen; sie werden von den Kleinkreditnehmern mit Zinsen, und seit Jahrzehnten zumeist deutlich über 95 % zurückbezahlt. Es wäre viel gewonnen, wenn bei einem Teil von Geldanlagen auf oft spekulative Gewinne zugunsten von Genossenschaftsanteilen für Mikrokredite verzichtet würde. Banken, Sparkassen wie auch Verbraucherverbände raten z. Zt. jedem zu Geldanlagen in Aktien oder Industriebeteiligungen, die in der Regel nachweisbar klimaschädlich sind.[14] In Deutschland werden jährlich etwa 400 Milliarden Euro vererbt;[15] dafür wurden 2019 gerade mal 7 Milliarden = 2 % Steuern entrichtet.[16] Aktionäre wie z. B. die Familie Quandt (BMW) kassieren jährlich etwa 1 Milliarde allein an Dividenden. Selbst geringfügige Steuererhöhungen oder etwa ein kleiner Anteil der enormen Rücklagen von z. B. Pensionsfonds könnte eine große Hilfe für die Menschen im Süden sein. Alleine bei den ärztlichen Versorgungswerken liegen z. B. etwa 115 Milliarden Euro Anlagevermögen.[17]
Die vorgelegten Zahlen belegen, wie sehr sich reiche und arme Länder vor allem auch in Bezug auf lebensbedrohende Krankheiten auseinanderentwickelt haben, und dies im Wesentlichen als Folge einer im Süden immer noch vorherrschenden extremen Armut. Ein Mehr an Gerechtigkeit erfordert einschneidende Ausgleichsmaßnahmen, u. a. steuerliche Änderungen auf Seiten der extrem kapitalkräftig gewordenen industriellen Länder. Darüber hinaus können Mikrokredite, welche Geldanleger im Norden mit Genossenschaftsanteilen finanzieren, im Süden eine erhebliche Hilfe zur Selbsthilfe darstellen, ohne den Umweg über häufig noch korrupte staatliche Organe.
Literatur und Quellen
[1] https://www.klimawandel-gesundheit.de/; https://healthforfuture.de/; https://planetary-health-academy.de/
[2] https://climateandhealthalliance.org/uncategorized/2015-lancet-commission-on-health-and-climate-change/; https://www.who.int/news/item/05-12-2018-who-launches-cop24-special-report-on-health-and-climate-change; https://vdw-ev.de/portfolio/jung-und-alt-bewegt-klima-und-gesundheit/, Planetary Health: Beispiele und Perspektiven (Planetary Health Academy) – YouTube, etc.
[3] https://germanwatch.org/sites/germanwatch.org/files/Globaler%20Klima-Risiko-Index%202019%20-%20Zusammenfassung_0.pdf
[4] Daten: https://worldpopulationreview.com/country-rankings/co2-emissions-by-country; https://worldpopulationreview.com/country-rankings/median-income-by-country
[5] Daten: https://www.who.int/healthinfo/topics/en/; https://ourworldindata.org/https://ourworldindata.org/grapher/child-mortality-gdp-per-capita (interaktive Karte)
[6] Daten: http://www.oecd.org/coronavirus/en/data-insights/number-of-medical-doctors-and-nurses; https://europeansting.com/2020/08/19/these-countries-have-the-most-doctors-and-nurses/
[7] https://www.gainhealth.org
[8] https://www.clubofrome.org/
[9] E. U. von Weizsäcker, A. Wikman Wir sind dran: Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen – Club of Rome: Der große Bericht 2019; A. Agarwal, S. Narain. Global Warming in an Unequal World: A Case of Environmental Colonialism. 1991, New Delhi
[10] https://unstats.un.org/sdgs/report/2020/goal-01/
[11] https://www.oikocredit.de/
[13] https://www.grameen-bank.net/
[14] https://www.geld-bewegt.de/wissen/geld-versicherungen/nachhaltige-geldanlage/der-klimafussabdruck-von-investmentfonds-11947
[15] https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.560982.de/17-27-3.pdf
[16] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/235806/umfrage/einnahmen-aus-der-erbschaftsteuer/