*Der Beitrag spiegelt die persönliche Meinung des Autors wider und entspricht nicht zwangsweise der Meinung der VDW.

Angesichts Putins verbrecherischen Angriffskriegs auf die Ukraine haben die deutschen Wissenschaftsorganisationen, inkl. DFG, DAAD und VW-Stiftung, jegliche Projektförderung zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Deutschland und Russland ausgesetzt. Ebenso sollen keine gemeinsamen Veranstaltungen durchgeführt, und neue Kooperationsprojekte nicht initiiert werden. Obwohl z. B. die DFG erklärt hat, sich der einschneidenden Auswirkungen dieser Maßnahmen bewusst zu sein und die Folgen für die Wissenschaft zutiefst zu bedauern, sollte die Wirkung dieser Erklärungen auf russische Wissenschaftler meines Erachtens nochmal überdacht werden. Dass sie Putin und seine Gefolgschaft beeindrucken, das ist noch unwahrscheinlicher als bisher die Wirkung wirtschaftlicher Sanktionen.

Dass russische Wissenschaftler Einfluss auf die Politik des Kremls nehmen ist angesichts der persönlichen Gefahren für jeden Protestierenden mehr als unrealistisch, und tatsächlich kaum zumutbar. Darüber hinaus kann man nicht voraussetzen, dass die Mehrheit der russischen Bevölkerung und auch der Wissenschaftler Putins Politik grundsätzlich ablehnt. Wirklich dagegen spricht nicht, dass sich über 7.000 russische Wissenschaftler*innen in einem offenen Brief gegen den Krieg in der Ukraine gestellt hatten – es muss offen bleiben, wieweit sie die Mehrheit repräsentieren. Durch meine wissenschaftlichen Arbeiten hatte ich über Jahrzehnte persönlichen Kontakt mit vielen russischen Kollegen: die Mehrzahl von ihnen standen eher nicht grundsätzlich gegen Putin, und empfanden etwa die Ausweitung der NATO oder die jetzt erstmals seit 1945 erfolgte Stationierung deutscher Soldaten an Russlands Grenzen als Unrecht.

Die oft mühsam aufgebauten Brücken zu russischen Wissenschaftler*innen abrupt abzubrechen wird Putins Krieg nicht beenden, bedeutet aber eine schwere Hypothek für die Zukunft der wissenschaftlichen Zusammenarbeit unsrer Länder. Meine Erfahrung mit vielen russischen Kollegen, oft Stipendiaten z. B. der A. von Humboldt-Stiftung, hat gezeigt, dass sie ebenso wie wir durch unsre Kooperationen viel gewinnen konnten. Man sollte von Fall zu Fall entscheiden, ob eine Kooperation weiterhin wünschbar ist – diese wird vor allem im Bereich der Grundlagenforschung auf naturwissenschaftlichem Gebiet dann möglich sein, wenn sie nicht auf militärische Anwendungen zielt. Das Land nicht nur von Tolstoy und Tschaikowsky, auch das von Landau und Mendelejew muss uns verbunden bleiben, besonders nach den in Russland unvergessenen deutschen Verbrechen der NS-Zeit. Russische Wissenschaftler haben es nicht verdient, Opfer der Putinschen Politik zu werden.

Prof. Dr. Hans-Jörg Schneider
Prof. Dr. Hans-Jörg Schneider
FR Organische Chemie der Universität des Saarlandes
E-Mail: ch12hs@rz.uni-sb.de
www.uni-saarland.de/fak8/schneider

Prof. Dr. Hans-Jörg Schneider, Jahrgang 1935 studierte ab 1955 Chemie, Biologie und Philosophie in Tübingen, München und Berlin (TU). Seine Promotion erfolgte 1967 in Tübingen. Von 1967 bis 1969 war er als PostDoc an der University of California, San Diego und 1969/70 als wissenschaftlicher Assistent bei Walter Hückel in Tübingen angestellt, während er seine Habilarbeit fortsetzte. Seit 1972 ist er Professor für Organische Chemie an der Universität des Saarlandes. Hans-Jörg Schneider ist zudem Autor/Herausgeber u. a. von fünf Fachbüchern und ca. 290 Publikationen inklusive zahlreicher Reviews. Früher war er Mitglied bei SDS, später bei VDW (seit Januar 2015), attac, etc.