Digitalisierung und Nachhaltigkeit gestalten!
von Dr.-Ing. Stephan Ramesohl (Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie)
In allen Lebensbereichen unserer modernen Gesellschaften wirkt Digitalisierung als eine – wenn nicht sogar die – zentrale Veränderungskraft des 21. Jahrhunderts. Aufgrund ihrer umfassenden, weitreichenden und fundamental-langfristigen Wirkungen in allen Lebensbereichen ist die Digitalisierung „… nichts weniger als eine zivilisatorische Revolution“ (WBGU 2019). Der Umgang mit und die Gestaltung von Digitalisierung wird damit zu einer Kernaufgabe für nachhaltige Entwicklung, insbesondere da die Beziehung von Digitalisierung zur Nachhaltigkeit in allen ihren Dimensionen ambivalent ist.
Digitale Technologien bieten neue Chancen für die Lösung großer Zukunftsaufgaben wie der Organisation dezentraler Energiesysteme auf Basis erneuerbarer Energien, neue klimaschonende Mobilitätskonzepte oder die Neuausrichtung unserer Industriestrukturen auf ressourceneffiziente, zirkuläre Ansätze (RNE 2019). Gleichzeitig unterstreichen aktuelle Beiträge (vgl. z.B. Sühlmann-Faul/Rammler 2018, Lange/Santarius 2018) und Positionierungen relevanter Institutionen (z.B. WGBU, RNE) die Risiken und Schattenseiten der Digitalisierung und haben dazu eine Reihe zentraler offener Fragenkomplexe identifiziert und herausgearbeitet.
Im Zusammenspiel unserer immer stärker vernetzten Alltagswelt mit den Verheißungen der künstlichen Intelligenz (KI) und der Ausbreitung digitaler Plattformen baut sich eine Transformationsdynamik auf wie wir sie in Umfang und Wirkungsmacht noch nicht gekannt haben. Dem wachstumsgetriebenen Wirtschaftsmodell unserer Industriegesellschaften wird zusätzlicher Schub verliehen und gleichzeitig wandeln sich im digitalen Plattformkapitalismus die Randbedingungen und Regeln unserer marktwirtschaftlich organisierten Ökonomien. Ebenso tiefgreifend verändern sich mit den digitalen Informationsflüssen, differenzierten Datenzugängen und den neuen Typ von fragmentierten Diskursen die Grundlagen unserer Gesellschaften. All diese Aspekte sind von zentraler Bedeutung für die politische Handlungsfähigkeit und Selbstregulationsfähigkeit von modernen Demokratien – insbesondere auch mit Blick auf unsere gemeinsame Aufgabe einer Nachhaltigkeitstransformation.
Im Kern wird dabei deutlich, dass Digitalisierung als mittlerweile allgegenwärtige und alles durchdringende sowie vernetzende Dynamik in der Lage ist, die Transformation zur Nachhaltigkeit in den verschiedenen Transformationsarenen ideal zu ermöglichen und ebenso radikal zu konterkarieren. Gesellschaft und Politik stehen daher vor der Aufgabe die historisch einmalige Innovations- und Diffusionsdynamik digitaler Technologien in ihrem Wesenskern zu begreifen und künftige Wirkungen rechtzeitig zu antizipieren. Nur so ist es möglich, die unmittelbaren Chancen und Risiken digitaler Techniken für die Nachhaltigkeits-transformation unserer modernen Gesellschaft klug abzuwägen und effektiv zu nutzen.
Das Ziel muss sein, die laufende digitale Transformation im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung für Gesellschaft und Politik gestaltbar zu machen. Es ist dafür unverzichtbar, die politische-normative Zieldimension (Wohin wollen wir Digitalisierung entwickeln?) mit der instrumentell-operativen Handlungsdimension (Wie kann Digitalisierung gestaltet werden?) zu verbinden.
Die Grundlagen hierfür werden gerade erst geschaffen und sind in vielen Aspekten noch unzureichend. Alle Akteure in Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik sind angesprochen, sich in den gesellschaftlichen Diskurs über grundlegende Ziele, Zwecke, Leitbilder und Strategien einer digitalen Transformation als Teil der Nachhaltigkeitstransformation einzubringen.
Insbesondere Forschung und Wissenschaft sind gefordert, die weitreichenden, komplexen und teils noch diffusen Problemstellungen zu präzisieren und als kurz- bis mittelfristige Lösungsbeiträge – gerade auch im Sinne der vom WBGU identifizierten ersten Dynamik (Digitalisierung für Nachhaltigkeit) – zu operationalisieren. Wissen zur nachhaltigen Digitalisierung muss für konkretes umweltpolitisches, gesellschaftliches und privatwirtschaftliches Handeln verfügbar gemacht werden.
Dazu fehlt in der Politik auf nationaler wie europäischer Ebene bislang eine umfassende und kohärente Strategie und Roadmap für eine Nachhaltige Digitalisierung sowie die damit verbundenen Monitoringprozesse. Es gilt die nachhaltige Gestaltung der Digitalisierung an sich und die Reduzierung der mit Digitalisierung verbunden Ressourcen- und Energieverbräuche bzw. Klimaemissionen als eigenständige Transformationsaufgabe der Nachhaltigkeitspolitik zu etablieren.
Der Prozess der Digitalisierung läuft unaufhaltsam und gewinnt stetig an Momentum. Noch ist offen, wie eine Welt Mitte des 21. Jahrhunderts aussehen wird, aber erste Konturen möglicher, teils widersprüchlicher Zukünfte beginnen sich abzuzeichnen. Das Morgen einer digitalen und nachhaltigen Zukunft ist noch gestaltbar, der Schlüssel dazu liegt jedoch in unserem aufgeklärten und kraftvollem Handeln im Hier und Jetzt.
GeSI – Global e-sustainability Initiative (2015): #SMARTer2030. ICT Solutions for 21st Century Challenges, Brussels
RNE – Rat für Nachhaltige Entwicklung (2018): nachhaltig_UND_digital . Nachhaltige Entwicklung als Rahmen des digitalen Wandels. Empfehlung des Rates für Nachhaltige Entwicklung an die Bundesregierung, Berlin, Dezember 2018
WBGU – Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2019): Unsere gemeinsame digitale Zukunft, Zusammenfassung, Berlin WBGU
Sühlmann-Faul, Felix, Rammler, Stephan (2018): Der blinde Fleck der Digitalisierung. Wie sich Nachhaltigkeit und digitale Transformation in Einklang bringen lassen. München Oekom Verlag
Lange, Steffen; Santarius, Tilman (2018): Smarte Grüne Welt? Digitalisierung zwischen Überwachung, Konsum und Nachhaltigkeit. München Oekom Verlag
Die Referierenden
Dr. Ing. Stephan Ramesohl
Projektleiter in der Abteilung Kreislaufwirtschaft am Wuppertal Institut mit Schwerpunkt Digitale Transformation, Lehrauftrag zum Thema Industrielle Infrastrukturen und Klimaschutz an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Wuppertal, eh. Vice-President Innovation Strategy and Innovation Portfolio Management der E.ON SE in Essen
Foto ©Wuppertal Institut / S. Michaelis
Prof. Dr. Ina Schieferdecker
Institutsleiterin des Fraunhofer FOKUS, Berlin und Professorin zu Quality Engineering of Open Distributed Systems an der Technischen Universität Berlin. Ihre Forschungsinteressen beinhalten neben Zuverlässigkeit und Zertifizierung von softwarebasierten Systemen, Dateninfrastrukturen auch nachhaltige Digitalisierung und Digitalisierung für Nachhaltigkeit. U.a. Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), Mitglied im Lenkungskreis der Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030 und Direktorin des Weizenbaum-Instituts für die Vernetzte Gesellschaft – das Deutsche Internet-Institut.
Dr. Carsten Polenz – Senior IT Executive SAP SE
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