16. November 2023 | Wissenschaftsforum 2023 „Transformation gestalten“
Wie kann grundlegender Wandel gelingen? Wie wirken Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Politik zusammen? Wie können nachhaltige Transformationsprozesse in Industrie und Wirtschaft angestoßen werden? Und wie kann man die Gesellschaft und Unternehmen ermutigen, Transformation mitzugestalten?
Das Wissenschaftsforum 2023 beleuchtet mit seinem Leitthema „Transformation gestalten“ die Frage, wie Akteure in Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik konstruktive Veränderungsimpulse und zukunftsfähige Lösungsansätze für eine nachhaltige Entwicklung entwerfen und umsetzen können. Die Veranstaltung richtete sich an Wissenschaftler:innen und Student:innen ebenso wie an Vertreter:innen aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik.
Das Wissenschaftsforum wurde eröffnet durch den Präsidenten der Wilhelm-Büchner-Hochschule, Prof. Dr. Rainer Elsland, den Präsidenten der Hochschule Kaiserslautern, Prof. Dr.-Ing. Hans-Joachim Schmidt und den Klimaforscher und Beiratsvorsitzenden der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler, Prof. Dr. Hartmut Graßl. Die Präsidenten der Hochschulen sprachen über die Notwendigkeit der Transformation und die Rolle der Hochschulen, Studierende dazu zu ermutigen, die schwierigen Aufgaben anzugehen. Zudem skizzierten Prof. Elsland und Prof. Schmidt einige der erfolgreich umgesetzten Nachhaltigkeitsinitiativen in ihren jeweiligen Institutionen. Prof. Dr. Hartmut Graßl hielt ein Plädoyer über die Dringlichkeit der Klimakrise. Er wies darauf hin, dass die Transformation in eine nachhaltige Zukunft nur gelingen kann, wenn die derzeitige Bedrohungslage erkannt wird.
In der darauffolgenden Podiumsdiskussion wurden viele wichtige Impulse für das Thema „Transformation gestalten“ gesetzt. Veronika Heibing, Leitung Stabsstelle Unternehmerische Verantwortung, Industrie- und Handelskammer (IHK) im Gebiet Darmstadt Rhein Main Neckar, sprach über die Herausforderungen, Unternehmen zur Nachhaltigkeit zu bewegen und in Transformationsprozesse mitzunehmen. Sie erklärte, dass es viele Methoden und Beratungsmöglichkeiten auch für kleinere Unternehmen gibt, mit denen die Angst vor dem Thema genommen werden kann und Unternehmer:innen ermutigt werden, konkrete Schritte zu gehen. Wichtig sei es zu lernen, Hilfsangebote zu finden und zu nutzen. Prof. Dr. Klaus-Michael Ahrend, Vorstand der HEAG Holding AG Darmstadt, sprach über die Kraft von Innovation und das Streben, Neues zu wagen und gleichzeitig Tradition zu wahren. Er wies darauf hin, dass eine effektive Kooperation zwischen Wissenschaft und Unternehmen die Grundlage sei für die Entwicklung von Innovationen für nachhaltige Transformation. Eva Schäfer, 2. Stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltigkeit an Hochschulen e.V. (DG HochN), sprach über den Teufelskreis der Verantwortungsdiffusion im Nachhaltigkeitsbereich. Schuldzuweisungen über eine fehlende Handlungsbereitschaft würden zwischen Politik, Gesellschaft und Wirtschaft hin und her geschoben. Die Wissenschaft habe die Aufgabe, diesen Kreis zu durchbrechen und müsse anfangen, zu allen Menschen zu sprechen und engagierte Gruppen zusammen zu bringen. Prof. Ursula Tischner, Dekanin des Fachbereichs Design der Wilhelm Büchner Hochschule, sprach über die Rolle von Gestalter:innen, neue Ideen in die Welt zu bringen. Gesellschaftliche Gruppen müssen zusammengebracht werden, wolle man die Nachhaltigkeitstransformation schaffen. Prof. Dr. Jörg Kopecz, Geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Transformationsmanagement, plädierte für eine gelebte Interdisziplinarität und über die Wichtigkeit, Menschen für das Thema der Nachhaltigkeit zu begeistern. Wissenschaft müsse in den Dialog gehen und Wissenschaftler:innen müssen den Mut haben, sich einzumischen. Er plädierte dafür, raus aus der eigenen Blase zu treten, und mit Menschen, die anders denken, ins Gespräch zu kommen.
Auf die Podiumsdiskussion folgten die ersten zwei Sessions der Short-Paper Vorstellungen durch (Nachwuchs-) Wissenschaftler:innen. In der ersten Session stand das Thema „Transformation in und durch Hochschule“ im Mittelpunkt. Verschiedene Referent:innen präsentierten ihre Perspektiven und Erkenntnisse zu diesem Thema: Philipp Spiegel erörterte die Rolle von Hochschulen als Transformationslabore, während Prof. Dr. Zeynep Tuncer ihre Perspektive zur Mensch-Computer-Interaktion im Rahmen der Nachhaltigkeitstransformation präsentierte. Dr. Jonas Rehn-Groenedijk sprach über die Gestaltung der Transformation und stellte Veränderungsmodi als „Elefant im Raum“ heraus.
Die zweite Session konzentrierte sich auf das Thema „Industrie und Wirtschaft als Orte der Transformation“ und präsentierte eine Vielzahl von Themen: Isabelle Dachs diskutierte die Bedeutung der Kreislaufwirtschaft in globalen Produktionsnetzwerken, während Prof. Dr. Tobias Ruf über die Kompetenzen für die Transformation der Automobiltechnik jenseits von Spaltmaß und cw-Wert sprach. Timothy Vincent gewährte Einblicke in das Nachhaltigkeitsmanagement in handwerklichen Kleinstunternehmen, am Beispiel der Steinbildhauerei Vincent. Eric Neumann beleuchtete die Rolle von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften als Vorreiter in der Nachhaltigkeitstransformation und deren Auswirkungen und Unterstützung in der Praxis. Dominika Lothary betonte die Höchstpriorität von Wirtschaft und Industrie auf ökologische Nachhaltigkeitsziele und die Notwendigkeit einer nachhaltigen Transformation.
Nach der Mittagspause sprach Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker. In seinem fesselnden Vortrag offenbarte er eine tiefgehende Perspektive auf das Leitmotiv des weltweiten politischen Handelns: das Streben nach Wachstum. Dabei betonte er nachdrücklich, dass Wachstum nicht nur ein Ziel sei, sondern auch die Ursache für die Zerstörung der Natur bilde. Er verdeutlichte, dass Wildtiere aufgrund des Verlangens nach Wachstum ausgerottet werden. Hierbei zeigte er auf, dass es an der Zeit sei, die Konsequenzen dieser Praktiken ernsthaft zu reflektieren. Ein dringender Appell erklang in seinen Worten – die Notwendigkeit einer neuen Aufklärung. Im Folgenden ging es um die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, der Sustainable Development Goals (SDGs). Prof. von Weizsäcker wies darauf hin, dass 11 von ihnen aggressive Wachstumsziele verfolgen. Lediglich drei SDGs richten ihren Fokus auf den Umweltschutz (15, 13, 14), obwohl gerade diese die Grundlage für das Zusammenleben auf unserem Planeten bilden. Seiner Überzeugung nach sollten die SDGs daher besser als Pyramide dargestellt werden, um ihre hierarchische Bedeutung zu verdeutlichen. Ein weiterer bedeutender Aspekt, den Prof. von Weizsäcker hervorhob, war die untrennbare Verbindung zwischen der CO2-Produktion und den CO2-Emissionen. Dies verdeutlichte die drängende Notwendigkeit einer Entkopplung des Wohlstands vom Wachstum. Im Anschluss an den Vortrag gab es viele Fragen aus dem Publikum. In einem konstruktiven Dialog diskutierte Prof. Weizsäcker mit den Teilnehmer:innen darüber, wie nachhaltiger Wohlstand ohne Wirtschaftswachstum erreicht werden kann. Er betonte die Notwendigkeit innovativer Ansätze und konkreter Handlungsstrategien, auch im Bereich der Armutsbekämpfung.
Im Anschluss an die Keynote folgten zwei weitere Sessions mit Präsentationen der Short Papers. In der dritten Session, die den Titel „Ausgewählte Handlungsbereiche der Nachhaltigkeitstransformation“ trug, präsentierten verschiedene Referent:innen ihre Perspektiven zu ausgewählten Bereichen der Nachhaltigkeitstransformation: Stella Drebber und Matteo Sesia stellten „The Eco-Matrioska“ vor, das sozialen Wandel aus der kultureller, sozialer und individueller Perspektive und mit Hilfe von klinischer Psychologie beleuchtet. Jessica Kaußen fokussierte sich auf die exemplarische Ermittlung von Anforderungen an ein nachhaltiges Smart-City-Konzept als Grundstein der digitalen Transformation. Milena Bork präsentierte ihre ethnografische Untersuchung zum „Ringen um Utopia“ im Ökodorf Gaia und beleuchtete die Wichtigkeit von präfigurativen Politik für die Gestaltung von Transformationsprozessen. Jens Plackner stellte das „Innovation Earthship“ vor, ein Bauwerk und soziales System zur Entwicklung von autarkem, nachhaltigem Wohn- und Lebensraum.
Die vierte und letzte Session behandelte das Thema „Methoden und Erfahrungsbeispiele zur Transformation“: Dr. Peter Kinne und Jürgen Kopfmüller präsentierten das NEO-Haus als Modell für „Transformations-Beschleuniger“. Dr. Silke Kleihauer teilte Erfahrungen aus dem Projekt „Systeminnovation für Nachhaltige Entwicklung – Transfer als Lernprozess in der Region“. Herbert Weinreich betonte in seinem Vortrag die notwendige Rolle der professionellen Moderation bei der Gestaltung erfolgreicher Transformation.
Der Abschluss des Programms widmete sich den Ergebnissen der Transformathon-Challenge, die bereits seit dem Frühjahr 2023 den Weg zum Wissenschaftsforum begleitete. Fünf Gruppen präsentierten ihre Ergebnisse:
- Gamification des persönlichen CO2-Fußabdrucks: Ziel war es, ein Spielekonzept zu entwickeln, das die Motivation zur Auseinandersetzung mit den komplexen Details des persönlichen CO2-Fußabdrucks fördert, ohne Verzicht zu betonen. Eine Gruppe entwickelte ein Brettspiel, eine weitere Gruppe ein Online-Spiel.
- Marketing-Konzept für Bürger-Energiegenossenschaften: Die BEG Südwest, als innovatives Startup, strebte an, mit einem modernen Marketingkonzept alle Altersklassen anzusprechen und so neue Mitstreiter:innen, Kapital und Geschäftsfelder zu gewinnen.
- KEEP IT SUPER SIMPLE – schnelle Hilfe beim Einkaufen durch eine Nachhaltigkeits-App: Die Herausforderung bestand darin, ein unkompliziertes Einkaufshilfe-Tool zu entwickeln, das unabhängig von Siegeln die nachhaltigste Wahl unterstützt.
- Motivationskonzept „Nachhaltigkeit im beruflichen Umfeld und an Hochschulen“: Die Gruppe arbeitete an der Schaffung eines Anreizsystems zur Förderung einer nachhaltigen Kultur, wobei Fragen zur Bewertung von Ideen und Vermeidung von Demotivation im Fokus standen.
Die äußerst erfolgreiche Veranstaltung fand ihren Abschluss in einer Publikumsabstimmung, bei der die Gewinner der Transformathon Challenge gewählt wurde. Der Preis ging an das Team der Challenge Gamification des persönlichen CO2-Fußabdrucks in der Brettspiel-Version (Gruppenmitglieder Katharina Nowak, Thomas Weigert und Madeline Jeske). In der Kategorie „bestes Poster,“ ebenfalls ein Publikumspreis, hat das Poster Analyse und Integration von Green Nudging in Social Media von Gina Malchar und Prof. Dr. Zeynep Tuncer gewonnen. Die Jury-Auszeichnung in der Kategorie „bestes Short Paper“ gewann Milena Bork mit ihrem Paper Das Ringen um Utopia: Eine ethnografische Untersuchung präfigurativer Politik im Ökodorf Gaia.