Was steckt hinter den Veränderungen unserer Parteienlandschaft? Hier hat Ernst Ulrich von Weizsäcker eine klare Diagnose: Die Schwäche der SPD sei eine Folge des Siegeszugs sozialdemokratischer Ideen im 20. Jahrhundert. AfD-Wähler gehören aus seiner Sicht zu denjenigen Menschen in der Mittelschicht, die sich wegen sinkender Wohlstandszuwächse Sorgen machen – aber auf falsche Lösungen setzen. Er wünscht sich eine große linke Volkspartei, die sich mehr um die Zukunft kümmert.
„1950 bis 1990 waren die goldenen Jahre der Demokratie. Die Wirtschaft musste sich dem Staat unterordnen, florierte aber!“, so von Weizsäcker. „Der Staat diente als Bollwerk gegen den Kommunismus.“ Diese Zeit sei nun vorbei: „Dann kamen 1990 und der Sieg des Kapitalismus. Wozu jetzt noch Sozialstaat?“ Die neue Devise laute darum: Der Staat soll sich dünn machen! Das Parteienverhalten muss auch als Reaktion auf diesen Kapitalismus mit seinem Imperativ, der Staat müsse sich dünn machen gesehen werden. Allerdings sei auch dieser doktrinäre Kapitalismus gescheitert, weil er die öffentlichen Güter zerstört.
Die aktuelle Schwäche der SPD liege hauptsächlich daran, dass sie all die Ziele erreicht habe um derentwillen sie gegründet wurde. Sozialdemokratie sei nach Ralf Dahrendorf zum Allgemeingut geworden. „Das Sozialgesetzbuch besteht in Wirklichkeit aus zwölf Büchern. August Bebel würde Tränen der Rührung vergießen.“ Zwar gehe derzeit die Schere zwischen arm und reich auseinander – aber kaum in Westeuropa, sondern in den USA, Brasilien oder Südafrika. „Jetzt bei der SPD mit der Pinzette noch Nachbesserungen der Sozialpolitik zu machen, kann zwar nötig sein, ist aber für die Programmatik einer Volkspartei einfach viel zu wenig.“ Dann komme nämlich das heraus, was Umfragen heute zeigen: Nur zwei Prozent der Wähler finden laut einer Infratest-Umfrage vom Juni 2019, dass die SPD die besten Antworten auf die Fragen der Zukunft hat. Den Grünen trauen die Befragten zu 27% die besten antworten zu.
AfD-Wähler gehören laut von Weizsäcker eher zu den Verlierern einer Weltwirtschaft, wo das Wachstum mehr in Asien stattfindet und die klassischen Industriejobs in Europa und Nordamerika verlorengehen. „Und dann kamen 2015 die Flüchtlinge dazu, denen der Staat angeblich die Wohnungen gab, die nun den Armen in Ostdeutschland fehlen“, so von Weizsäcker. Allerdings setzten die AfD-Wähler auf falsche Lösungen: „Schuldzuweisung an die EU oder gar die Renationalisierung der Wirtschaft sind das idiotischste Rezept für diese Verlierer. Nur in der EU und im Kräftemessen der EU mit den USA und China geht es auch für sie wieder aufwärts.“
Die große Koalition dürfe kein Dauerzustand werden. Aber: „Keinem OECD-Land geht es besser als Deutschland unter der momentanen Regierung. Seien wir doch froh, dass bei uns Volksverdummer wie Salvini, Orban, Trump oder Boris Johnson keine Mehrheiten kriegen.“ Allerdings decke das alte CDU/SPD-Spektrum die heutigen Herausforderungen nicht mehr gut ab. Weizsäcker wünscht sich eine große linke Volkspartei, die sich aber mehr um die Zukunft kümmern müsse. „Hier haben die Grünen noch einen Vorteil vor der SPD, weil sie programmatisch mehr auf die Zukunft ausgerichtet sind.“
Darum müsse die SPD entschlossen Zukunftsaufgaben anpacken, die in der Hauptsache international gelagert seien („Weltinnenpolitik“):
- Klimaschutz (Unterstützung von „Fridays for Future“). Hier müssten die Entwicklungsländer einbezogen werden („Budget Ansatz“ des WBGU).
- Frieden und Völkerverständigung vorantreiben. Hier gelte es, den gefährlichen neuen Rüstungswettlauf zu verhindern, die UNO zu stärken, die Trump-Ideologie, dass die Nationen stets Rivalen seien, brandmarken und diskreditieren, und Russlands Misstrauen gegenüber der NATO und dem Kapital-Raubrittertum zu verstehen.
- Die Finanzmärkte zähmen und G20 wieder zur politischen Kraft der Finanzmarktkontrolle machen. Olaf Scholz sei zu danken, an dem G20-Konsens über Mindeststeuersätze mitgewirkt zu haben.
- Das Technologiebewusstsein stärken. Natürlich für die internationale Wettbewerbsfähigkeit, aber auch für Technikfolgenabschätzung bei hochbrisanten neuen Techniken.
- Europa als Friedensprojekt und nicht als Bürokratieprojekt begreifen. Dazu sollte nach dem Brexit eine gemeinsame Steuerpolitik mit ökologischer Note gehören (von den Briten immer sabotiert!), sowie ein Finanzprogramm für öffentliche Güter. Auch die EU-Außenpolitik muss gestärkt werden.
- Auf der erfolgreichen Kommunalpolitik aufbauen. Hier sei die SPD in den Großstädten immer noch die Nummer 1.
Von Weizsäckers Fazit: „Wenn man mit SPD nicht mehr Hartz IV und dessen Abwicklung assoziiert, sondern mit solchen Stichworten, dann laufen die Leute der SPD wieder in Scharen zu.“
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