*Der Beitrag spiegelt die persönliche Meinung des Autors wider und entspricht nicht zwangsweise der Meinung der VDW.

Weniger ist mehr! ….. daran muss ich denken, wenn ich höre, dass Menschen sich wohler fühlen, nachdem Sie Ihren Haushalt rigoros verkleinert haben. Doch in unserer Wachstumsgesellschaft ist das Wort ‚weniger‘ zum Unwort geworden. – Dabei ist klar, dass wir, ohne Beschränkungen unseres Konsums, die Lebensgrundlage der Weltbevölkerung durch den Klimawandel und den Verlust der Biodiversität verlieren. Das ‚wir‘ bezieht sich hier selbstverständlich auf die reichen Länder!

Das Symposium hat sich mit der Frage beschäftigt, wo sind die Grenzen des Wachstums und was die Folgen, wenn wir diese Grenzen nicht einhalten? Was haben wir in den letzten 50 Jahren getan und was müssen wir heute tun.

Ernst Ulrich von Weizsäcker, der die Arbeit des Club of Rome von der ersten Publikation zu den Grenzen des Wachstums bis heute übersieht, hat in seinem sehr spannenden Vortrag über die Entwicklungen und Erkenntnisse der letzten 50 Jahre berichtet. Dabei hat er auch auf die notwendigen Kehrtwenden hingewiesen, die in der neuesten Publikation ‚Earth4All‘ (2022) beschrieben werden. Diese fordern, angesichts der zu erwartenden globalen Folgen nach den Kipppunkten beim Klimawandel und der Biodiversität, eine systemische Transformation. Wir können nicht einfach weiter machen wie bisher! – Zu den Kehrtwenden für eine resiliente Zivilisation gehören neben einer Energierevolution, die Beseitigung von Armut und eklatanten Ungleichheiten, die Ermächtigung von Frauen und der Aufbau eines für Menschen und Ökosystem gesunden Nahrungsmittelsystems.

Eine interessante Diskussion ergab sich bei der Einschätzung der 17 Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDG) der Vereinten Nationen. Während Dr. Hubert Weiger die Ziele als demokratisch legitimiert und hilfreich betrachtet, kritisierte Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker die ersten 11 Ziele als nicht nachhaltig, sondern eher wachstumsfördernd. – Ich halte eine interdisziplinäre wissenschaftliche Diskussion über die SDG’s in ihrem Grundanliegen und ihrer Wirkung, sowie deren globalen Umsetzbarkeit für sehr wichtig. Es ist unsere Verantwortung als Wissenschaftler hier klare Empfehlungen zu erarbeiten, mit denen wir die Menschen vom richtigen Handeln überzeugen können.

Aus der Sicht eines Experten aus dem Generalsekretariat der EU-Kommission, Herrn Günter Hörmandinger, wurde von der Vision des European Green Deal berichtet. – Auch wenn man viele Details und die Geschwindigkeit der Umsetzung kritisieren kann, sehe ich den Green Deal sehr positiv. Es ist gut, dass wir dieses Projekt der EU überhaupt haben, denn es bietet die Grundlage für erkennbar erste Fortschritte. – Sicher würde alles schneller gehen, wenn die europäische Bevölkerung, statt die Maßnahmen im Detail zu kritisieren, einfach vorangehen und die Maßnahmen – soweit wie möglich – umsetzen würde. In diesem Sinne betonte Dr. Weiger, dass jeder an der Stelle wo er gerade steht handeln muss.

Der Green Deal spricht von einer Umgestaltung der Wirtschaft für eine nachhaltige Zukunft und setzt dabei weiter auf Wirtschaftswachstum. Es wird eine neue Wachstumsstrategie vorgeschlagen. In einer ressourceneffizienten Wirtschaft soll das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung und der Klimaschädigung abgekoppelt werden, um das Ziel der Emissionsfreiheit 2050 zu erreichen. – Hier habe ich großen Zweifel und sehe noch sehr viel Diskussionsbedarf. Ich denke, ohne ein ‚Weniger‘ in den reichen Ländern ist global der Klimaschutz und eine nachhaltige Entwicklung mit dem Ziel einer resilienten Zivilisation nicht zu erreichen.

In den Arbeitsgruppen wurden drei wichtige Themenbereiche vertieft diskutiert: das nachhaltige Wirtschaftswachstum, nachhaltige Mobilität und Stadtumbau sowie ‚Eine Erde für Alle‘, im Sinne der Gesundheit von Menschen und Umwelt. Hier gehe ich nur auf das letzte Thema, im Sinne von ‚One Health‘, ein. – Ernährung und Landwirtschaft sind zwei Seiten einer Medaille mit großen Auswirkungen auf Menschen und Umwelt und mit drängendem Handlungsbedarf. Jeder von uns hat großen Einfluss darauf, was an Lebensmitteln angeboten wird. Denn wenn wir alle auf regionale Lebensmittel aus einer nachhaltigen Landwirtschaft umsteigen und auf industrielle Produkte verzichten, wird die Lebensmittelindustrie reagieren müssen. Je weniger wir Produkte essen, die aufwendig verarbeitet wurden, wie z.B. in Fertiggerichten, desto klarer lässt sich die Herkunft natürlicher Lebensmittel erkennen. Für die Politik heißt das: keine Subventionen für ökologisch schädliche Landwirtschaft mehr zu gewähren, auch damit die Biodiversität keinen weiteren Schaden nimmt.
Da unserer Erdoberfläche begrenzt ist, müssen wir für die Ernährung der gesamten Weltbevölkerung die Anbauflächen effizienter zu nutzen. Das geht nur durch den vermehrten Anbau von pflanzlichen, proteinreichen Nahrungsmitteln (wie z.B. Hülsenfrüchte) in einer regional angepassten effektiven Fruchtfolge. Möglich wird dies durch die Reduktion des Fleischverbrauchs, denn ein Hektar Pflanzenanbau als Nahrungsmittel ersetzt zwei Hektar Futteranbau für Tiere.

Dies sind nur ein paar subjektive Eindrücke aus den intensiven Diskussionen während des sehr interessanten Symposiums. Damit Sie jedoch alle mehr darüber lesen können, hat die VDW mit Unterstützung des Liz Mohn Center eine Zusammenfassung erstellt, die Sie hier abrufen können.

Prof. Dr. Ulrike Beisiegel
29.10.2023

Prof. Dr. Dr. Ulrike Beisiegel
Prof. Dr. Dr. Ulrike BeisiegelFoto: Peter Vogel, Fotografie Hamburg
Ulrike Beisiegel, habilitiert in Biochemie, war von 2011 bis 2019 Präsidentin der Universität Göttingen. Zuvor war sie C4-Professorin und Direktorin des Instituts für Biochemie und Molekularbiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Sie übte viele wissenschaftliche und wissenschaftspolitische Funktionen u. a. bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der Leibniz-Gemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft und der Hochschulrektorenkonferenz aus. Zwischen 2020 und 2023 war sie Co-Vorsitzende der VDW. Heute ist sie Senatorin der Max-Planck-Gesellschaft (seit 2011), Mitglied des Hochschulrates der Goethe-Universität Frankfurt am Main, der Universitätsräte der Universität Passau und der Universität Graz sowie des Aufsichtsrates des Forschungszentrums Jülich. Für ihre wissenschaftlichen Leistungen wurde sie mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Heinz Maier-Leibnitz-Preis der DFG, der Rudolf Schönheimer-Medaille der Deutschen Gesellschaft für Atheroskleroseforschung sowie der Ubbo-Emmius-Medaille der Universität Groningen (Niederlande).