Die Stimme der Wissenschaft in der Politik ist nötig, um gemeinsame Probleme anzugehen und internationale Partnerschaften aufzubauen

*Der Beitrag spiegelt die persönliche Meinung des Autors wider und entspricht nicht zwangsweise der Meinung der VDW.

Der Meinungsbeitrag, der im Dezember 2020 im Physik Journal, 19 (2020) Nr. 12, Seite 3 abgedruckt wurde, erscheint hier in leicht veränderter Version.

Die Wissenschaftsfreiheit ist ein hohes Gut, das durch das Grundgesetz garantiert wird! Gleichzeitig lautet ein ungeschriebenes Gesetz, das Wissenschaftler sich aus der Politik heraushalten, neutral bleiben und lediglich Fakten und Erkenntnisse produzieren sollen. Aber geht das in der heutigen, globalisierten Welt noch? Die Leugnung wissenschaftlicher Erkenntnisse, Missmanagement der globalen Pandemie und politische Konflikte nehmen Wissenschaftler, auch als Staatsbürger, zum Anlass, sich zu Problemen der Menschheit zu äußern, in die die Wissenschaft involviert ist. Dazu zählen der Klimawandel, die Corona-Pandemie oder die Gefahr eines neuen nuklearen Wettrüstens.

Heute verschärfen neue Probleme die Situation: Populismus, inflationäre Verschwörungstheorien und Machtspannungen fordern die Wissenschaft global und national heraus. Wichtige Elemente der Wissenschaft wie freier Zugang zu Wissen, friedlicher Meinungsaustausch, die Anerkennung wissenschaftlicher Ergebnisse oder die wissenschaftliche Zusammenarbeit über nationale Grenzen hinaus werden in alarmierender Weise in Frage gestellt: „Autoritäre Staaten schränken wissenschaftliche Freiheiten ein, politische Spannungen führen zu Reisebeschränkungen und Restriktionen für Forschende anderer Nationalitäten“, so das Fazit einer Podiumsdiskussion am DESY in Hamburg am 21. Oktober 2019. Jüngst hat das 175 Jahre alte „Scientific American“ sogar eine Wahlempfehlung abgegeben, für Joe Biden und gegen Donald Trump, da dieser „Beweise und Wissenschaft ablehnt.“ Der neu gewählte US-Präsident hört im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger auf die Stimmen der Wissenschaft. Hoffnung besteht, dass der wissenschaftsfeindliche Trend in den USA mit dem neuen US-Präsidenten umgekehrt wird.

Über 4000 Wissenschaftler haben Anfang Oktober eine Erklärung zur „Verteidigung der Demokratie“ in Amerika unterzeichnet. Angesichts der nationalen Krise in den USA haben sie eine klare Haltung gegen die Einmischung der Politik in die Wissenschaft gefordert. Stellungnahmen sind in unserer stark von Medien bestimmten Welt probate Mittel, um dringende nationale und internationale Herausforderungen für die Öffentlichkeit zu artikulieren und eine evidenz-basierte Politik einzufordern. Aber das alleine reicht nicht aus. Wissenschaft braucht Freiheit und internationalen Austausch, aber diese Freiheit bringt auch Verantwortung mit sich. Dies gilt besonders für die Negierung wissenschaftlicher Fakten, die fortschreitende Kommerzialisierung und die Gefahr militärischen Missbrauchs. Aus meiner Sicht ist mehr Science Diplomacy nötig!  Dazu zählen unter anderem die Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse, Kooperationen in der Außenpolitik oder die Schaffung von Beratergremien, um internationale Partnerschaften zu stärken und Regierungen wissenschaftsbasierte Ratschläge zu geben. Dabei stehen länderübergreifende Probleme, internationale Großprojekte oder Diskussionen mit ausländischen Kollegen im Zentrum. Angesichts der fortschreitenden Rivalität zwischen den USA, China und Russland könnten internationale Kooperationen Schaden erleiden – beispielsweise durch Visaprobleme, Exportkontrolle, Konferenzabsagen oder Spionagevorwürfe.

Das Dual-Use-Problem, also die prinzipielle Verwendbarkeit von Gütern, Technologien und Wissen für zivile als auch für militärische Zwecke, stellt sich vor dem Hintergrund des globalen Machtwettbewerbs zwischen den Großmächten stärker denn je als kontrovers dar. Die wissenschaftliche Gemeinschaft als Ganzes – wie auch unabhängige Einzelpersonen und Forschungseinrichtungen – trägt eine besondere Verantwortung dafür, den Gesellschaften zu helfen, die Auswirkungen von Entwicklungen mit doppeltem Verwendungszweck besser zu verstehen und Risiken für Leben, Menschenwürde, Gesundheit, Freiheit, Eigentum und Umwelt zu begrenzen. Hierzu gibt es erfolgreiche Initiativen des DESY zum Freien Elektronenlaser oder die Empfehlungen zu sicherheitsrelevanter Forschung der DFG und Leopoldina von 2014. Zur Exportkontrolle legte das Bundesausfuhramt eine Broschüre für die Industrie und Forschung vor. Aber sind diese Richtlinien auch allgemein bekannt und werden sie angewendet? Die Dual-Use-Problematik muss auch von ForscherInnen ernster genommen werden.

Neben der offenen Diskussion ambivalenter Forschungsfelder und damit verbundener „Risikoanalysen“ zur Minimierung von Gefahren durch die Bewertung risikoreicher Forschung gibt es weitere präventive Maßnahmen, beginnend bei der Ausbildung und Lehre und bis in die Forschung führend, so z.B. in die Einrichtung von Kommissionen für die Ethik sicherheitsrelevanter Forschung. Forschungsinstitutionen können bestehende Ethikregeln für den Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung, die über die Einhaltung von Gesetzen hinausgehen, in transparenter Weise anpassen oder weiterentwickeln. Aber auch die Politik selbst ist gefragt. Die Bundeskanzlerin ist zwar gelernte Physikerin, aber hat die Bundesregierung genügend wissenschaftliche Beratung? Das Auswärtige Amt, das für die Außenpolitik und damit für „Science Diplomacy“ verantwortlich ist, hat noch nicht einmal einen Wissenschaftsberater und das in einer Welt, die maßgeblich von Wissenschaft und Technologie bestimmt ist. Auch mit den Fachgemeinschaften ist ein kontinuierlicher Dialog über „Science Diplomacy“ nötig. Die VDW hat hier unter anderem im Rahmen der „Pugwash Conferences on Science and World Affairs“ jahrelange Erfahrungen gesammelt. Fachgesellschaften wie die DPG brauchen einen Ansprechpartner in der Regierung. Umgekehrt benötigt die Regierung einen direkten Draht zu den Wissenschaftsorganisationen. Wissenschaft und Politik sollten in der komplexen Welt von heute gemeinsam mehr „Science Diplomacy“ wagen!

Prof. Dr. Götz Neuneck
Prof. Dr. Götz Neuneck
Götz Neuneck ist stellvertretender wissenschaftlicher Direktor des Institut für Friedensforschung und Sicherheits­politik an der Universität Hamburg (IFSH) und leitet den Masterstudiengang „Peace and Security Studies“. Er ist Mitglied des Council der „Pugwash Conferences on Science and World Affairs“, Pugwash-Beauftragter der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e.V. und Sprecher des Arbeitskreises Physik und Abrüstung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG). Seine aktuellen Schwerpunkte sind Rüstungskontrollen und Abrüstung, Nuklearwaffen und Nonproliferation, Raketenabwehr und Weltraumrüstung.