Presseerklärung: Zur Verschärfung der Debatte um Sicherheit für Europa mittels Atombewaffnung
Berlin, 02.04.2024
Die öffentliche Debatte zu neuen Atomwaffen in Europa zur Stärkung von Sicherheit und Frieden in Europa nimmt gegenwärtig ein in ihrer Kontroversität und Polarisierung beunruhigendes Ausmaß an. Mitglieder der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler VDW haben deshalb eine Erklärung zu dieser Kontroverse, basierend auf den Erfahrungen der Göttinger Erklärung, angeregt. Die Wahrnehmung von Verantwortung der Wissenschaft im Kontext von Atomwaffen, einem Resultat physikalischer Grundlagenforschung, erlebte 1957 im Zuge der Frage einer zukünftigen Beteiligung der Bundeswehr an Atomwaffen einen ersten und historischen Höhepunkt. Die damalige „Göttinger Erklärung“ von 18 Naturwissenschaftlern, unter ihnen drei Nobelpreisträger, fand unter anderen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen statt. In einer seitdem deutlich veränderten Welt sehen sich die Unterzeichner jedoch zu einer Erklärung aufgerufen, sich in aktueller Sorge zum Thema Atomwaffen und globaler Verantwortung zu äußern, und nicht zu „allen politischen Fragen zu schweigen“. Insbesondere müssen die Konsequenzen für eine neue nukleare Aufrüstungswelle genau und sachlich verstanden werden. Dies geschieht inmitten einer Zeit, in der die Eindämmung der Klimaerwärmung und die Sicherung der Energieversorgung im Hinblick auf Wohlergehen und gesellschaftlichen Frieden weit über die Grenzen Deutschlands und Europas hinaus die allergrößte Aufmerksamkeit verdienen sollten.
Die Unterzeichnenden sind Menschen, die sich auf Grund ihrer Tätigkeit in den Bereichen Wissenschaft und Forschung zutiefst besorgt an den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung, aber auch an die breitere Öffentlichkeit wenden.
So appellieren die Unterzeichnenden an die politischen Entscheidungsträger und betonen:
- Einen „begrenzten Atomkrieg“ gibt es nicht, auch nicht mit „taktischen“ Atomwaffen, deren Wirkungen im Einsatzfall inzwischen oft verharmlosend dargestellt werden. Daher darf der Einsatz einer solchen Massenvernichtungswaffe auch nicht Teil des strategischen Denkens und Handelns Deutschlands werden.
- Die Nuklearwaffenstaaten müssen sich verpflichten, die aktuellen Nukleararsenale nicht zu erhöhen, überprüfbare Bestandsaufnahmen ihrer Atomarsenale zuzulassen und weiter Abrüstungsgespräche zu führen.
- Rüstungskontrollgespräche auch im Hinblick auf den Erhalt des Nichtverbreitungsvertrages sowie Rüstungskontrollverträge müssen wieder aufgegriffen werden. Deutschland sollte sich im Interesse des Weltfriedens auch für den Atomwaffenverbotsvertrag von 2017 einsetzen! Ein praktikabler Weg zu wirksamer nuklearer Rüstungskontrolle unter Einbeziehung von Abrüstung und konventioneller Rüstungskontrolle ist jetzt unverzichtbar und darf nicht als bloße Zukunftshoffnung ausgelagert werden.
- Globale wissenschaftliche Zusammenarbeit und die Wiederherstellung einer internationalen Vertrauensbasis sind unerlässlich im Hinblick auf die Sicherung von Frieden und Wohlergehen der Menschheit.
- Praktizierte Klimamaßnahmen und eine damit verträgliche Energiesicherheit sind Voraussetzungen für ein Mindestmaß an sozialer Gerechtigkeit in allen Teilen der Welt und den Erhalt des gesellschaftlichen Friedens. Sie dürfen nicht einem neuen, weltweiten Wettrüsten geopfert werden. Wir laufen Gefahr, durch den Verlust dieser Sicherheiten in eine noch gefährlichere Weltlage zu steuern, für die es keine militärische Lösung mehr gibt.