VDW-Vorstandsmitglied Dr. Hans-Jochen Luhmann erinnert an die Göttinger Erklärung von 1957 und die Gründung der VDW im Jahr 1959

© Foto: Artem Podrez

Heute scheint die Sorge vor dem Einsatz von Atomwaffen verblasst.

Vor 65 Jahren war das anders. Am 12. April 1957 veröffentlichten 18 führende deutsche Atomphysiker, unter der Führung von vier Nobelpreisträgern, eine Erklärung zu Plänen der damaligen Bundesregierung zur atomaren Bewaffnung der Bundeswehr. Damals waren die Erfahrungen von Hiroshima und Nagasaki und die des globalen II. Weltkriegs noch präsent.

Der öffentliche Erfolg der Erklärung, die breite Zustimmung in der deutschen Bevölkerung zur Rüstungsbegrenzung („nicht auch noch deutsche Atomwaffen“), führte dazu, dass der Zirkel der Göttinger Achtzehn einen Schritt weiter ging: Am 1. Oktober 1959 hoben sie die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) aus der Taufe. Motive dafür gab es zwei.

Den Atomphysikern war eines sonnenklar: Die seitens der Verteidigungspolitik angestrebte Zustimmung der deutschen Bevölkerung zur Stationierung von Atomwaffen auf dem Boden des zum eventuellen Schlachtfeld auserkorenen Deutschlands hatte zur Bedingung, dass diese keine Anschauung und kein Verständnis von den Wirkungen eines nuklear geführten Krieges auf sie selber hat. Sie sollte wie Lämmer bleiben. Deswegen gab es dazu keine (öffentlich geförderte) Forschung. Diesen Mangel auszugleichen war die erste Aufgabe der Forschungsstelle der VDW.

Den Göttinger Achtzehn wurde von der Politik entgegengehalten, dass sie keine Ahnung hätten von den militärischen und sicherheitspolitischen Zusammenhängen, innerhalb derer die deutsche Politik den Besitz von Atomwaffen anstrebe. An diesem Vorhalt war etwas dran. Deswegen wurde Sicherheits- und Militärpolitik zu einem der ersten Forschungsfelder der VDW.

Wer heute wissen will, was die Folgen eines Atombomben-Abwurfs auf Hamburg z.B. sind, kann sich informieren. Wer heute die Stimmen der Wissenschaft in Deutschland sucht, welche den Krieg in der Ukraine militärstrategisch zu erläutern in der Lage sind, sucht hingegen vergeblich – es bleibt nur, den Militärs zu folgen. Die Aktiven aber schweigen in Deutschland weitgehend, anders die im neutralen Österreich –denen, von einer Militär-Akademie(!), zuzuhören, sei empfohlen (Video öffnet sich in YouTube).

Weiterführende Medien

WDR ZeitZeichen | Podcast-Sendung vom 12.04.2022

„12. April 1957 – Göttinger Manifest deutscher Wissenschaftler gegen Atombewaffnung“ [Link].

Dr. Hans-Jochen Luhmann

Hans-Jochen Luhmann Blogbeitrag

Hans-Jochen Luhmann, Jahrgang 1946, studierte Mathematik, Volkswirtschaftslehre und Philosophie in Hamburg, Basel und Heidelberg. Von 1974 bis 1980 war er Mitglied der Arbeitsgruppe Umwelt, Gesellschaft, Energie (AUGE) an der Universität Essen. Als Geschäftsführer war er für die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) tätig. In den achtziger Jahren leitete er die Fachabteilung „Ökonomie und Recht“ bei Fichtner Beratende Ingenieure und ab 1993 war er stellvertretender Leiter der Abteilung Klimapolitik des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Gegenwärtig ist Dr. Luhmann Senior Expert (Emeritus) am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, Herausgeber der Zeitschrift „Gaia – Ökologische Perspektiven für Wissenschaft und Gesellschaft“ sowie Lehrbeauftragter im Masterstudiengang Energiemanagement der Universität Koblenz-Landau, verantwortlich für den Kurs „Internationale Klimapolitik und Emissionshandel“.