Konferenz in der Reihe „Wissenschaft für Frieden und Nachhaltigkeit“
18. – 20. November 2016 | Georg-August-Universität Göttingen
Vor welchen Herausforderungen steht Europa heute und was macht das europäische Integrations- und Friedensprojekt eigentlich aus? Welche Selbstwahrnehmung hat Europa, gibt es eine europäische Identität? Wie schauen Menschen aus anderen Weltregionen auf den „alten Kontinent“ und was können wir daraus lernen? Wie können wir die europäische Zukunft nachhaltig gestalten?
Antworten auf diese vielfältigen und wichtigen Fragen zu finden, war Ziel der Konferenz „Quo vadis Europa? Ein Friedensprojekt am Scheideweg“, die die VDW gemeinsam mit der Universität Göttingen und der Stiftung Adam von Trott ausgerichtet hat. Vom 18.-20. November 2016 diskutierten in Göttingen WissenschaftlerInnen mit Studierenden und interessierten TeilnehmerInnen über Herausforderungen und Rückschritte, Chancen und mögliche Entwicklungspfade für Europa und die Europäische Union (EU).
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Eröffnet wurde die Konferenz am Freitagabend – festlich in der Aula der Universität Göttingen – mit Grußworten und Vorträgen von u.a. Staatsminister Michael Roth (MdB, Auswärtiges Amt) und Prof. Dr. Kalypso Nicolaidis (University of Oxford). Zur Sprache kamen aktuelle Bewährungsproben wie die Migrationskrise, der Brexit-Schock und seine Konsequenzen sowie die steigende Distanz zwischen der EU und ihren Bürgern, zwischen Wählern und Gewählten. Daneben plädierten die Vortragenden aber auch für die Kraft und den Fortbestand des europäischen Integrationsprojektes und dessen friedens- und gesellschaftspolitische Errungenschaften – verbunden mit dem Aufruf, auch an die jüngere Generation, sich für diese Errungenschaften stark zu machen. Michael Roth fasste es so zusammen: „Europa braucht jetzt Mitmacher statt Mitläufer und Mutmacher statt Miesmacher!“
Am Samstagmorgen (19. November 2016) standen integrationstheoretische Perspektiven auf die zukünftige Entwicklung der EU zur Diskussion. Prof. Dr. Frank Schimmelfennig von der ETH Zürich stellte das Konzept der „Differenzierten Integration“ vor, das ein Voranschreiten des Einigungsprozesses bei gleichzeitiger Wahrung von heterogenen Präferenzen innerhalb der EU-Mitgliedstaaten ermöglicht. Ohne Differenzierung als „Schmiermittel“ wären die stetige Vertiefung und Erweiterung der EU so nicht möglich gewesen, betonte Schimmelfennig, und machte gleichzeitig deutlich: wenn die Integration bereits einen so hohen Stand erreicht hat, wie wir ihn heute beobachten, trägt eine Differenzierung eher zur Entsolidarisierung bei.
Mit einer Art Entsolidarisierung beschäftigte sich auch Prof. Dr. Ulrike Liebert (Universität Bremen) in Ihrer Analyse der zunehmenden Re-Nationalisierungstendenzen innerhalb Europas. Ihre These: eine Politik des „Durchwurstelns“ sowie zunehmend technokratische und expertokratische Handlungsansätze (besonders in der Eurokrise) haben die Distanz zwischen der EU und ihren Bürgern erhöht und Re-Nationalisierungstendenzen begünstigt. Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit müssen die richtigen Lehren aus gemachten Fehlern ziehen, um weitere Krisen zu verhindern.
Prof. Dr. Monika Oberle (Universität Göttingen) erörterte anschaulich Konzepte und Herausforderungen der politischen EU-Bildung in der (Grund-)Schule. Politik in Deutschland lässt sich ohne die Einbindung der (komplexen) europäischen Dimension heute nicht mehr verstehen und diesem Wandel muss sich eine zeitgemäße politische Bildung anpassen. Der (Grund-)Schulbildung kommt hierbei eine ungemein wichtige Rolle zu, da nur sie auch alle angehenden EU-Bürgerinnen und Bürger erreichen kann.
Die Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA wird Spuren hinterlassen – auch in Europa. Quaide Williams (Head of Democrats Abroad, Germany) prognostizierte, was die Wahl für die amerikanische und europäische Debattenkultur, für Medien und Öffentlichkeit sowie für die transatlantischen Beziehungen bedeutet.
Am Samstagnachmittag hatten die Teilnehmenden die Chance, mit ExpertInnen in drei parallel laufenden Diskussionsforen zu debattieren.
Das Forum I „Friedenspolitik nach innen/ Friedenspolitik nach“ außen beleuchtete aktuelle Herausforderungen für die EU als Friedensprojekt. Mark Schieritz (DIE ZEIT), Prof. Dr. Götz Neuneck und Prof. Dr. Jürgen Scheffran (beide Universität Hamburg, VDW) thematisierten neben dem friedensfördernden Potenzial der europäischen Integration (das teilweise selbst ausgeschöpft zu sein scheint) auch die (so genannte Soft Power-)Rolle der EU bei der Friedensförderung auf internationalem Parkett.
Adam Krzeminski (Polityka/DIE ZEIT), Christian Wenning (Erste Lesung, Berlin) und Dr. Christopher Bickerton (Cambridge University) setzten sich im Forum II mit dem Thema „Zweifel an Europa“ und der Frage auseinander, ob der EU als Integrationsprojekt die Kraft ausgegangen ist. Dabei diskutierten sie in die Breite und zeigten neben Gründen für (berechtigte und unberechtigte) Zweifel auch unterschiedliche Lösungsideen auf: von der Überzeugung, dass die EU als „ausgehandelte Entität“ ganz gut funktioniert, wenn man sie nur lässt über eine Stärkung der EU-Handlungsfähigkeit durch Desintegration bis hin zum Vorschlag, die EU noch einmal ganz neu zu denken.
„Europa von außen“ betrachteten Prof. Dr. Ann Phoenix (University College, London), Dr. May-Britt Stumbaum (FU Berlin), Mahadi Ahmed (Berlin) und Prof. Dr. Elisio Macamo (Universität Basel) im Forum III. Zur Sprache kamen nicht nur unterschiedliche Bilder, Ideen und Erwartungen von Europa, sondern auch unterschiedliche Erfahrungen, die Menschen aus anderen Weltregionen mit Europa verbinden und was wir als EuropäerInnen daraus lernen können.
Am späteren Abend diskutierten Prof. Dr. Hans Joas (Humboldt Universität zu Berlin, VDW) und Rebecca Harms (MdEP und Vorsitzende der Fraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz) in einem öffentlichen Streitgespräch über aktuelle Herausforderungen, verpasste und genutzte Chancen sowie mögliche Zukunftsperspektiven auf die Wertegemeinschaft Europa, die Rolle und Ansichten verschiedener Generationen und die europäische Außen-, Sicherheits- und Migrationspolitik.
Die Moderation übernahm Dr. Ulrike Bosse (NDRinfo); nachhören können Sie das gesamte Gespräch hier.
Durch die ereignis- und lehrreiche Geschichte der EU führte am Sonntagmorgen (20. November 2016) Prof. Dr. Konrad Raiser (ehem. Generalsekretär des Weltkirchenrats, Berlin). Anschließend erörterte Prof. Dr. Gabriele Abels von der Universität Tübingen, warum wir in der Wissenschaft (und vor allem in der Politikwissenschaft) nicht nur eine inklusivere Forschung und Lehre brauchen, sondern auch besser mit Politik und Gesellschaft kommunizieren müssen.
Auf dem Abschlusspodium der Konferenz, moderiert von Prof. Dr. Ulrich Bartosch (KU Eichstätt-Ingolstadt, VDW), wurde noch einmal deutlich: die Wissenschaft hat eine besondere Verantwortung für die zukünftige Gestaltung Europas und die Bewältigung der anhaltenden Krisen. WissenschaftlerInnen sollten Fehlentwicklungen analysieren und auf diese aufmerksam machen, gleichzeitig aber auch konstruktiv zu möglichen Lösungsansätzen beitragen.