*Der Beitrag spiegelt die persönliche Meinung des Autors wider und entspricht nicht zwangsweise der Meinung der VDW.

Bekanntermaßen stehen in einem freiheitlichen, demokratisch strukturierten Gemeinwesen gesellschaftsrelevante Fragen nicht nur, aber doch zumeist aktuellen Zuschnitts, zudem in ihrem jeweiligen politischen Kontext gewöhnlich zur allgemeinen Diskussion. Dies bedeutet, dass jenes vermutlich auch noch länger, wenn nicht überhaupt dauerhaft gegenwartsnah bleibende Thema „Künstliche Intelligenz (KI)“ die Gemüter der dafür ansprechbaren Gesellschaftsmitglieder bewegt, und zwar durchaus verständlicherweise, handelt es sich doch bei KI letztlich um enorme Fortschritte in Sachgebieten wie Rechenleistung, Algorithmenentwicklung, Datenverfügbarkeit (Big Data) und maschinelles Lernen. Die heutige KI ist das Resultat einer seit vielen Jahrzehnten anhaltenden Entwicklung, die durch eine Vielzahl kleiner Schritte und Durchbrüche vorangetrieben wurde und noch immer wird.

Dabei ist gerade auch im Kreis der Rezipienten die Einstellung zu vernehmen, dass es zwar wichtig sei, vielfältige im Zusammenhang mit KI bereits vorhandene sowie zu erwartende Probleme aufzuzeigen und zu diskutieren, aber auch die Notwendigkeit, Lösungen für angemessene Verwendung und Handhabung von KI zu ergründen und vorzuschlagen, keinesfalls in Vergessenheit geraten dürfe.

Gleichwohl: Um es an dieser Stelle im Sinne einer Entgegnung schon einmal ganz kurz und bündig auszusprechen: Wenn es um die Frage nach Künstlicher Intelligenz geht, dann gibt es im Hinblick auf das Bedürfnis nach Lösungen im Kontext vielfältiger Probleme, die sich offensichtlich mit KI auftun, keine positive Antwort. Eine jeweils auf KI-Probleme bezogene mehr oder weniger verbindliche sogenannte Lösung, die von allen anzuerkennen wäre, zumindest allgemeine Aufmerksamkeit finden sollte, wird sich nicht realisieren lassen. Oder noch einmal mit anderen Worten: Wer als Normalbürger glaubt, nicht technische, wohl aber gesellschaftsrelevante Probleme, die sich aus dem Umgang mit KI ergeben, einer Lösung oder mindestens Klärung zuführen zu können, wird enttäuscht. Mit dem Rekurs auf KI hat sich der Mensch an eine Entwicklung herangewagt, die ihm auf längere Sicht weit, wie man umgangssprachlich zu sagen pflegt, über den Kopf wachsen wird, die sich der Beherrschbarkeit durch ihn selbst auf längere Sicht, möglicherweise für immer zu entziehen Gefahr laufen wird. Aber auch schon gegenwärtig werden sich Schwierigkeiten und Probleme mit KI für den Durchschnittsbürger, dessen Kapazitäten für Erkenntnis und Lösung begrenzt sind, als unvermeidbar erweisen. Das Problemfeld KI ist überaus komplex, z.T. auch geleitet von Phantasien und Träumen, andererseits getragen von Gedanken, die sich stets wirkungsmächtig artikulieren, vor allem aber ist das Bezugsfeld KI geprägt von Forschungseifer und Durchsetzungsvermögen.

Die Wissenskapazitäten, die sich für die Beschäftigung mit KI als notwendig erweisen, sind komplex, haben fachspezifischen Zuschnitt, sind nicht jedem ohne Weiteres präsent. Die Kluft zwischen einer mathematisch-naturwissenschaftlich versierten Bildungselite unter den Menschen und einer Bevölkerungsgruppe, die auf Wissen und Praktikabilität bezogene Ansprüche hinsichtlich KI kaum zu erfüllen weiß (man verzeihe hier eine gewisse Arroganz des Autors in der Darlegung), wird sich vergrößern. KI mit einer ihr zugesprochenen Leistungsfähigkeit, die in der Obhut ihrerseits  selbst  von  Künstlicher Intelligenz  –  KI lernt sozusagen von KI  –  ihre  selbstbezogene Wirksamkeit zu steigern, zu vergrößern und auszudifferenzieren sich anlässt, wird die Emanzipation, will sagen die eigene Loslösung vom Menschen „wagen“, wird einst selbst als Befehlshaber des Menschen fungieren. Mit anderen Worten: KI wird sich weiterentwickeln, ausdifferenzieren  sowie  im Endeffekt  eine  Wirkungsmacht   über  den   Menschen   erlangen  und entfalten, die er selbst wird hinnehmen müssen, da ihm die Mittel der Gegenwehr vermutlich fehlen werden, vielleicht aber auch Möglichkeiten einer Gegenwehr gesamtgesellschaftlich gar nicht erwünscht sind. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass sich der Mensch von dem, was auf ihn zukommt und was auch von einer sich stets überaus geschickt darbietenden Werbung für digitale Medien aus verständlichen Gewinninteressen forciert wird, total vereinnahmen lässt. Wer beispielsweise öffentliche Verkehrsmittel nutzt, hat die Möglichkeit, ziemlich intensiv wahrzunehmen, wie sehr sich die Menschen den technologischen Errungenschaften der Postmoderne auszuliefern, ja, zu unterwerfen bereit sind, ohne dies offensichtlich hinreichend kritisch zu reflektieren, was eine gewisse, in der Regel wohl als Unbedarftheit zu interpretierende Haltung des an sich zumeist braven und gut meinenden Bürgers – dies sei nicht ohne eine gewisse Ironie gesagt – deutlich  zu erkennen gibt.

Jeder Zweite, um es umgangssprachlich zu sagen, hält sein Smartphone in der Hand und rezipiert  ohne Ende im Wesentlichen Alltagswissen und Kenntnisse, die über die Simplizität des täglichen Einerlei kaum hinausgehen, von weltweit mächtigem Energieverbrauch bei diesen Vorgängen ohnehin ganz zu schweigen. Die enorme Zunahme an Alltagswahrnehmung über das Smartphone und die – im Übrigen dezidiert besorgt zu beurteilende – Verringerung  von Kenntnissen,  insbesondere von kritischem Bewusstsein und die damit verbundene, „sich in Unschuld und Naivität“ ergehende Unfähigkeit, die Aufblähung an Informationen trivialer Machart mit Vorbehalt in den Blick zu nehmen, zu beurteilen und zu bewerten, all dies würde sich im Hinblick auf erwartbare Konsequenzen als negativ, kaum als menschenfreundlich erweisen, ohne dass uns dies im Allgemeinen bewusst, geschweige denn von uns gewollt ist. Ein allgemein verbindliches Einverständnis im Hinblick auf Beurteilungskriterien, was menschliche Äußerungs- und Ausdrucksformen, also Sprache und Handlungsoptionen anbelangt, dürfte aufgrund unüberschaubarer Komplexität von Leben und Welt immer stärker in Vergessenheit geraten, ist vielleicht gar nicht mehr existent.

Zu wünschen wäre eine erneut von Aufklärung und Gesellschaftskritik, von ggf. alternativen Bewusstseinsinhalten getragene geistige Grundtendenz in der Bevölkerung, eine Grundtendenz, die einer sich negativ, nämlich in der Konsequenz freiheitsdezimierend ausprägenden, auf Mensch und Gesellschaft über subtile Fremdbestimmung Einfluss nehmenden, einer auch bildungsfeindlichen Gesamtentwicklung Einhalt zu gebieten versteht.

Die Aufgabe der vorliegenden Zeilen dürfte darin bestehen, deutlich zu kritisieren, ohne stets zugleich Lösungsansätze präsentieren zu müssen, die sich eher, so wäre zu wünschen und hier auch zu ergänzen, aus einem gesamtgesellschaftlichen Diskurs ergeben könnten und auch sollten. Das KI-Gesetz der EU, das hier nicht außer Acht bleiben soll, begreift sich als eine Möglichkeit, die weitgefasste Einflusssphäre von KI zu strukturieren und zu begrenzen, was sicherlich mit Zustimmung bedacht werden kann. Das in Rede stehende Gesetz verkörpert einen risikobasierten Ansatz, strukturiert damit den Gesamtkomplex KI und soll mit seiner Spezifik zur Sicherung und Sicherheit vielfältiger gesellschaftlicher Belange beitragen. Hierbei handelt es sich um durchaus anzuerkennende Bemühungen, KI in ihren Möglichkeiten zu differenzieren.

Ob sich dieses Gesetz bewährt und sich die KI den vielfältigen Kategorisierungen und Begrenzungsversuchen, wie sie von verantwortungsbewussten Vertretern der Gesellschaft ins Spiel gebracht werden, anpassen lässt oder sich letztlich in ihren Strukturen zu verknüpfen, zu vernetzen, zu verstärken, letztlich von menschlichen Sicherheitsbedürfnissen gewissermaßen zu emanzipieren versteht, ist wohl mit letzter Sicherheit noch nicht absehbar, verbindet sich aber schon jetzt mit Skepsis und entsprechenden Befürchtungen.

Insofern sei mit einem gewissen Pessimismus an den Anfang der vorliegenden Darlegungen noch einmal angeknüpft: Eine allseits befriedigende Lösung für den Einsatz von KI in der menschlichen Gesellschaft wird es vermutlich nicht geben. KI wird sich rasant weiterentwickeln, wird viele Berufe verschwinden lassen und damit zahlreichen Menschen Möglichkeiten auch persönlicher Entfaltung vorenthalten oder wegnehmen, wird zudem einen enormen Energieverbrauch  veranlassen. Andererseits wird KI dem Menschen in weiten Teilen seines Wirkens auch so gut wie alles sozusagen anliefern, was er sich wünscht, wird damit das schulisch geprägte Lernen, wird Kenntnisse und auch persönliche Erfahrungsbestände in geradezu menschenfeindlicher Hinsicht revolutionieren, nämlich insbesondere reduzieren, im Extremfall vernichten, wird das Lügen und Betrügen aufgrund  vermeintlicher, in diesem Sinne KI-unterstützter Überzeugungskraft, aufgrund KI-generierter Makellosigkeit der Argumente befördern, vor allem  auch den Menschen weitgehend entmündigen und damit einem Zustand in die Hände spielen, der sich – ein wenig zugespitzt formuliert – durch die Beherrschung des Menschen mittels Künstlicher Intelligenz und nicht etwa durch die Beherrschung der Künstlichen Intelligenz mittels menschlicher Überlegenheit auszeichnen wird!

Künstliche Intelligenz wird sich durchsetzen, wird aber ihren Preis fordern. Der Preis wird hoch sein,  es könnte  der Untergang des  Menschen  nicht in  seiner  körperlichen  Existenz, wohl aber in seinem Selbstbestimmungsrecht in Frieden und Freiheit in vielerlei Hinsicht, überdies in gar nicht mal so ferner Zeit sein. Die Künstliche Intelligenz wird über den Menschen hinauswachsen …

Norderstedt, den 09.04.2024

Dr. Michael Pleister
Dr. Michael Pleister

Dr. Michael Pleister hat an der Universität Hamburg die Fächer Germanistik, Geschichte und Erziehungswissenschaft studiert, 1. und 2. Staatsexamen abgelegt, überdies mit einer literaturwissenschaftlichen Arbeit zur Großstadtdichtung, um es knapp zusammenzufassen, bei Professor Karl-Ludwig Schneider promoviert. Er war danach als Lehrer mit den Fächern Deutsch und Geschichte zunächst im allgemeinbildenden Schulwesen, dort am Gymnasium, dann viele Jahre an der Bundeswehrfachschule tätig. Später nahm er an einem Gymnasium für ein Jahr die Stelle eines kommissarischen Schulleiters wahr.

Zahlreiche Lehraufträge in den Fachdisziplinen Sprachwissenschaft, Deutschdidaktik, Deutsch als Fremdsprache und auch im Bereich Geschichte führten ihn an diverse Hochschulen in Deutschland, so an die Universitäten in Hamburg, Bremen, Braunschweig und Magdeburg. An der Universität Lüneburg war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Fachdidaktik Deutsch tätig.

Mehrere hundert Besuche von Veranstaltungen im Bezugsfeld Theater, Oper und Konzert – detailliert chronologisch festgehalten auf seiner Homepage – bezeugen sein ausgeprägtes Interesse an Darbietungen im Bereich sog. Hochkultur, ein Interesse, das sich auch in seinen veröffentlichten Kommentaren und Verlautbarungen zu Theateraufführungen in Hamburg niedergeschlagen hat. Darüber hinaus hat Michael Pleister diverse Texte zu literaturgeschichtlichen, pädagogisch- didaktischen und bildungstheoretischen Themen publiziert. Auch im Ruhestand unterrichtet er zeitweilig im Bereich Deutsch als Fremdsprache. (vgl. auch www.michaelpleister.de)