Neue Horizonte für die Forschungspolitik –
Wissensgesellschaft und Institutionen im Wandel
Tagungsbericht
Prof. Dr. Hartmut Graßl , Vorsitzender der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) eröffnete die Tagung mit einer deutlichen Kritik an den bestehenden Strukturen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Hier gibt es seit Jahrzehnten etablierte Netzwerke, die ihre Errungenschaften gegenüber Newcomern aus den zivilgesellschaftlichen Organisationen hart verteidigen. Jedoch verkenne die Forschungspolitik, dass nicht nur die großen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen entscheidende Forschung zu einer nachhaltigeren Gesellschaft leisten. Zum Beispiel haben im Fall der Energiewende viele kleine zivilgesellschaftliche Bewegungen und Tüftlern die Entwicklung und Nutzung von erneuerbaren Energien maßgeblich vorangetrieben.
Dr. Steffi Ober , Projektleiterin der Zivilgesellschaftliche Plattform Forschungswende, zog die Bilanz einer Erfolgsgeschichte. Die aktuelle Forschungspolitik setzt mittlerweile auf Citizen Science Ansätze, erprobt partizipatives Agenda-Setting und fördert große transdisziplinäre Förderlinien wie Kopernikus-Energiewende oder Zukunftsstädte. In Expertenräten wie dem Hightech-Forum finden sich erstmals Vertreter der Zivilgesellschaft wieder. Plattform Forschungswende wird zu Anhörungen im Bundestag oder Hightech-Forum geladen und ist vielfältig an der Diskursbildung in Forschung und Innovation beteiligt. Die Verbände entwickeln sich ebenfalls, sowohl der Dachverband der Entwicklungszusammenarbeit VENRO wie auch die Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände bereichern den Zusammenschluss der Natur- und Umweltschutzverbände auf der zivilgesellschaftlichen Plattform Forschungswende.
Unter der Moderation von Christiane Grefe (DIE Zeit) wurde in drei Panels diskutiert, ob und wie die Klimakonferenz in Paris und die Sustainable Development Goals (SDGs) das Wissenschafts- und Forschungssystem inhaltlich wie strukturell verändern.
Ministerialdirigent Dietmar Horn der Abteilung G, Grundsatzangelegenheiten der Umwelt-, Bau- und. Stadtentwicklungspolitik des Bundesministeriums für Umwelt, Bau und Reaktorsicherheit (BUMB) betonte, dass eine Reduktion der Erderwärmung auf 1,5 Grad und die SDGs unsere bisherigen Problemlösungsansätze und Herangehensweisen völlig in Frage stellen. In der Diskussion mit Prof. Dr. Kai Niebert (DNR), Daniela De Rider (SPD) und Prof. Dr. Hubert Weiger (BUND) wurde unterstrichen, dass eine notwendige gesellschaftliche Transformationen der Lebensstile und Konsumgewohnheiten in den gewohnten Strukturen nicht zu lösen sind. Um diese Fragen zu beantworten, muss ein strukturierter Austausch zwischen Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik vorangetrieben werden.
Prof. Dr. Gesine Schwan , Präsidentin der Humboldt-Viadrina Governance Platform (HVGP) und Mitglied des Lenkungsausschuss’ des Sustainable Development Solutions Network (SDSN), hob die Rolle der Kommunikation hervor. Gesellschaftliche Fragen in der Wissenschaft gemeinsam zu behandeln, in transdisziplinären Ansätzen zu forschen, erfordert intensive Kommunikation zwischen bislang getrennten Bereichen. Hier sieht sie auch den Beitrag der Plattform Forschungswende als gelungenes Angebot für neue Lern- und Kommunikationsräume zwischen Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik. Matern von Marschall (CDU), Dr. Inge Paulini (WBGU) und Dr. Klaus Seitz (BfdW) diskutierten auf dem Podium, ob der parlamentarische Beirat für Nachhaltigkeit ausreichend Brücken in die Gesellschaft baue und wie die deutschen Nachhaltigkeitsziele ohne die Auslagerung von Verschmutzung und Emissionen in ärmere Länder zu erreichen seien.
Ministerialrat Volkmar Dietz der Abt. 7, Grundsatzfragen Nachhaltigkeit des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), stellte in einem Überblick dar, an wie vielen Stellen bereits transdisiziplinär und partizipativ gearbeitet wird. An zwei Punkten entzündete sich eine lebhafte Diskussion mit Prof. Dr. Hartmut Graßl (VDW), Prof. Dr. Uwe Schneidewind (WI) und Olaf Tschimpke (NABU): erstens zur konkreten Frage, inwieweit die Schnittstellenarbeit von neuen Akteuren wie der zivilgesellschaftlichen Plattform Forschungswende zu finanzieren sei, zweitens die generelle Fragestellung, wie gut die deutsche Regierung aufgestellt sei, um die SDGs umzusetzen. Hier wurde kritisch angemerkt, dass notwendige Governancestrukturen fehlen und dass Partizipationsformate unklar seien. Falls man es mit der Umsetzung der Agenda 2030 ernst meine, sei es wichtig, die Ressorts transdisziplinär aufzusetzen, sektorale Netzwerke in eine Querschnittspolitik einzubinden und die Entwicklung von Schnittstellen für eine integrative Forschungs- und Innovationspolitik zu fördern.
„Wie weiter?“ war das Motto des Nachmittages. Drei kurze Inputs von MinR Thorsten Menne (MiWF NRW), Dr. Maja Göpel (WI) und Prof. Dr. Sabine Junginger (P4T), vermittelten neue Horizonte und innovative Ansätze aus Politik, Wissenschaft und Organisationsentwicklung. In den anschließenden Zukunftsforen, moderiert von der Initiative Politics for Tomorrow, konnten die Teilnehmenden wichtige Aspekte des Vormittags in heterogen Kleingruppen vertiefen. Der Fokus lag auf der Entwicklung von konkreten Vorschlägen für die Zukunft einer Forschungswende. Hier gab es viele Ideen, die im Laufe der nächsten Tage aufbereitet und Ihnen dann als Download auf dieser Seite zur Verfügung stehen.
Jahreskonferenz Forschungswende
Die Bundesregierung bekennt sich zu den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung wie sie von den United Nations in „Transforming our world: the 2030 Agenda for Sustainable Development“ jüngst beschlossen wurden und hat sich zudem verpflichtet, deutlich mehr als bislang zur weltweiten Gerechtigkeit beizutragen. Folgerichtig stehen herausfordernde technologische wie soziale Innovationen zur absoluten Senkung des Ressourcenverbrauches sowie Änderungen der Produktions- und Konsummuster in der nationalen Umsetzung an.
Die transdisziplinäre Wissenschaft greift diesen Ansatz auf, in dem sie mit der Gesellschaft Fragestellungen wie Lösungsstrategien entwickelt. Eine solche Wissenschaft versteht sich als Weg hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft, die mit ihrem Lebensstil und Wohlstandsmodell die planetaren Grenzen respektiert. Doch der Geltungsanspruch dieser transformativen Wissenschaft ist ebenso umstritten wie prekär in der Umsetzung und Einbettung in das bestehende Wissenschaftssystem.
Das BMUB/UBA hat in vier Projektjahren die zivilgesellschaftliche Plattform Forschungswende gefördert, Kapazitäten in der organisierten Zivilgesellschaft aufzubauen und Verbände als wichtigen Kooperationspartner für die Wissenschaft zu unterstützen. Mit dieser Tagung endet die Förderperiode und wir möchten diskutieren, wie Wissenschaft, Wirtschaft und wichtige Forschungsstrategien aufgestellt sind, um die SDGs in den planetaren Leitgrenzen zu fördern. Welche Rolle spielt hier die organisierte Zivilgesellschaft heute und in Zukunft?
Das Programm
10:00 – 10:15
Prof. Dr. Hartmut Graßl (Vereinigung Deutscher Wissenschaftler)
Dr. Steffi Ober (Forschungswende)
Stand der Dinge – vier Jahre Forschungswende
Am Vormittag werden die Chancen und Herausforderungen der globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs) und der COP21 Ziele für Forschung und Innovation mit VertreterInnen aus Politik und Wissenschaft diskutiert. Moderation: Christiane Grefe, Die ZEIT
10:15 – 10:55 Eröffnungsplenum
Contract of Parties COP21 – Impulse für neue Rahmungen von Forschung und Innovation?
Input: Jochen Flasbarth, Staatsekretär Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Diskussion: Prof. Dr. Kai Niebert (Deutscher Naturschutzring), Dr. Daniela de Ridder (SPD), Prof. Dr. Hubert Weiger (Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland)
10:55 – 11:35 Input und Podium
Sustainable Development Goals der UN – Treiber für eine Transformation der Wissenschaft?
Input: Prof. Dr. Gesine Schwan, Präsidentin HUMBOLDT-VIADRINA Governance Platform
Diskussion: Matern von Marschall (CDU), Klaus Müller (Verbraucherzentrale Bundesverband), Dr. Klaus Seitz (Brot für die Welt)
11:50 – 12:30 Input und Podium
Was und wie kann die Hightech-Strategie zu den Zielen von COP21 und den SDGs beitragen?
Input: Dr. Volkmar Dietz , MinR Abt. 7 – Grundsatzfragen Nachhaltigkeit, Klima, Energie, Bundesministerium für Bildung und Forschung
Diskussion: Olaf Tschimpke (Naturschutzbund Deutschland), Prof. Dr. Uwe Schneidewind (Wuppertal Institut), Prof. Dr. Hartmut Graßl (Vereinigung Deutscher Wissenschaftler)
12:30 – 13:00 Publikumsfragen
Alle Teilnehmenden haben die Möglichkeit während des Vormittag schriftlich Fragen zu formulieren. Eine Auswahl davon wird zum Abschluss des Vormittags beantwortet.
Ausblick – Wie weiter?
Am Nachmittag möchten wir neue Ansätze erkunden und gemeinsam mit Ihnen in interaktiven Sessions einen Ausblick erarbeiten. Welche Herausforderungen erwarten Wissenschaft, Politik und organisierte Zivilgesellschaft? Wie können wir darauf Antworten und Lösungsansätze entwickeln? Was kann eine Forschungswende dazu beitragen?
14:00 – 14:30 Impulsvorträge
Prof. Dr. Sabine Junginger, Designforscherin Hertie School of Governance
Dr. Maja Göpel, Leiterin Wuppertal Institut Berlin
Thorsten Menne, Leitender Ministerialrat, Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen
14:30 – 15:30 Zukunftsforen
Quo Vadis Forschungswende? – Vertiefung der vorgestellten Impulse in Kleingruppen
Moderation: Dr. Eva Köppen, Susanne Stövhase, Angelika Trübswetter, Initiative Politics for Tomorrow
15:30 – 15:45 Präsentationen
Vorstellung der Gruppenarbeit aus den Zukunftsforen
Moderation: Caroline Paulick-Thiel, Forschungswende
15:45 – 16:00 Ausblick
Dr. Steffi Ober, Forschungswende
Weiterführende Links
Vortragsfolien