Vom 30.09. bis 02.10.2022 fand an der Universität Perugia die interdisziplinäre und internationale Tagung „Utopias of Sustainability – The Sustainability of Utopias“ als Kooperation der VDW mit den Universitäten Innsbruck, Perugia und der European Association of Social Anthropologists (EASA) statt. 30 Teilnehmende aus europäischen Ländern und aus Südamerika diskutierten über unterschiedliche Konzepte der Nachhaltigkeit, deren Umsetzung respektive Thematisierung durch staatliche Akteur:innen und soziale Bewegungen in unterschiedlichen Ländern und die Verbindung von Nachhaltigkeit mit Visionen beziehungsweise Utopien gesellschaftlicher Veränderung. Das „Labor“-orientierte Format der Tagung hat es ermöglicht, dass die Teilnehmenden in einen tieferen Austausch traten, als es oft auf großen Tagungen der Fall ist, und zusammen neue Lösungen für ihre Fragen fanden, die sich in einer Reihe von neuen Kooperationen konkretisierten.
Unter dem Begriff der Nachhaltigkeit wird ein Handlungsprinzip für die Ressourcennutzung verstanden, bei dem eine dauerhafte Bedürfnisbefriedigung durch die Erhaltung der natürlichen Regenerationsfähigkeit der beteiligten Systeme – vor allem von Lebewesen und Ökosystemen – gewährleistet werden soll. Im 18. Jahrhundert für die Forstwirtschaft entwickelt, erlebte es im Zuge der globalen umwelt- und entwicklungspolitischen Debatte seit dem Zweiten Weltkrieg einen Aufschwung. Die aktuellen globalen Krisen der Ressourcenverknappung und des Klimawandels haben dazu geführt, dass die Frage der Nachhaltigkeit zu einer lebenswichtigen Dringlichkeit geworden ist, die von vielen verschiedenen Akteuren und Bewegungen auf der ganzen Welt wahrgenommen wird und zu einem neuen Regime von Nachhaltigkeitsnormen führt.
Anhand der Vorträge und Diskussionen während der Tagung wurde jedoch deutlich, welch unterschiedlichen Facetten das Konzepts der Nachhaltigkeit beinhaltet – von Nachhaltigkeit im Sinne von Konzepten zirkulären Wirtschaftens z. B. durch Repairing, Re- und Upcycling oder neue Ansätze ökologischer Landwirtschaft bis hin zur Nachhaltigkeit zivilgesellschaftlichen Engagements und den Möglichkeiten seiner Aufrechterhaltung.
Gerade soziale Bewegungen erweisen sich, wie unterschiedliche Tagungsbeiträge veranschaulichten, als Motor der Veränderung auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit: Sie adressieren diese durch mannigfaltige Formen des Protestes sowie durch das Vorleben alltäglicher transformativer Praktiken und tauschen sich auch transnational zu Konzepten und Ideen der Nachhaltigkeit aus.
Offen blieben einige Fragen, deren Beantwortung einer vertiefenden Diskussion bedarf:
- Was bedeutet Nachhaltigkeit jeweils im konkreten Kontext? Wenn der Begriff der Nachhaltigkeit auf verschiedene Systeme gleichermaßen angewendet werden kann, kann die Nachhaltigkeit des einen Systems die Nicht-Nachhaltigkeit des anderen bedeuten.
- Welche Rolle können wir als Wissenschaftler:innen bei auf Nachhaltigkeit abzielendem Aktivismus spielen, und wie können wir Nachhaltigkeit im akademischen Bereich selbst erreichen?
- Welches ist die Beziehung zwischen Nachhaltigkeit und Kapitalismus? Inwiefern sind Bemühungen um nachhaltiges Handeln notwendigerweise zentralen kapitalistischen Prinzipien entgegengesetzt, und inwieweit kann auch der Kapitalismus geeignete Maßnahmen der Nachhaltigkeit hervorbringen, jenseits einer Selbstimmunisierung, die Rhetoriken und Praktiken der Nachhaltigkeit kooptiert und damit Gefahr läuft, sie ad absurdum zu führen, indem sie aufs Neure in Logiken des Wachstums integriert werden?