Am 3. September beschäftigten wir uns intensiv mit Whistleblowing in der Wissenschaft. Angelika Hilbeck, Bernd Hahnfeld, Liv Bode, Gerhard Baisch und Hartmut Graßl gaben uns einen Einblick in die Fälle von mehreren Whistleblower-Preisträger:innen und erläuterten, welche Rolle die verschiedenen Medien in diesen Fällen spielten. Sie diskutierten auch über Julian Assange und die sich verändernde Pressefreiheit. Moderiert wurde der Workshop von Maria Reinisch.
Eine Einführung in das Thema gab uns Angelika Hilbeck. Sie stellte zunächst klar, dass es beim Whistleblowing immer um korrekte und wahre Sachverhalte geht, die jedoch nicht unbedingt geheim sind.
Mit dem Whistleblower-Preis wurden insgesamt 18 Personen ausgezeichnet, darunter sechs Personen aus der Wissenschaft. Einer der Preisträger war Dr. Árpád Pusztai. Er forschte zu gentechnisch veränderten Kartoffeln. Bei Fütterungsversuchen an Ratten stellte er unerwartet negative Nebenwirkungen fest. Auf ein öffentliches Interview folgte eine massive Rufmordkampagne gegen ihn, woraufhin er entlassen wurde, keinen Zugang zu seinen Daten erhielt und sich nicht mehr öffentlich äußern durfte. Sein ehemaliger Arbeitgeber agierte, laut Hilbeck, auf Anweisung von politischen und wirtschaftlichen Akteuren, hinter denen Industrieinteressen standen. Ein ähnlicher Fall ist der von Gilles-Eric Seralini. Als Molekularbiologe forschte er viele Jahre an den Auswirkungen von Pestiziden und Genveränderten Organismen (GVO). Ständig war er Diffamierungen ausgesetzt, insbesondere nach einer Veröffentlichung im Jahr 2012, bei der es um schwere Auswirkungen auf Versuchstiere ging, die mit genverändertem, mit Glyphosat behandeltem Mais, gefüttert wurden. Seine Studie wurde ohne methodische Gründe zurückgezogen, was auf den Einfluss von Industrielobbys hinweist.
Angelika Hilbeck sieht die Rolle der Medien kritisch, da diese oft als Werkzeuge von Industrieinteressen fungierten und Whistleblower diskreditierten. Dies zeige sich auch im Fall Seralini, bei dem die meisten Medien einer einseitigen Berichterstattung folgten und die Diffamierung unterstützten. Ausnahmen, wie in diesem Fall „Le Monde“ und „The Guardian“, seien selten. Prof. Postol, ebenfalls ein Whistleblower-Preisträger, betonte in einem Interview die mangelnde Ausbildung von Wissenschaftsjournalist:innen, die oft die Aussagen der Regierung unkritisch übernehmen. Whistleblowing in etablierten Medien führt meist zu öffentlicher Unterstützung und Schutz durch diese Medienhäuser, während Whistleblower:innen, die über unabhängige Kanäle veröffentlichen, oft stärkerem Druck ausgesetzt sind.
Dr. Liv Bode konnte aufgrund von Krankheit leider nicht persönlich am Workshop teilnehmen. Bernd Hahnfeld stellte daher Frau Bodes Whistleblowing am Robert Koch Institut (RKI) vor:
Dr. Liv Bode, habilitierte Biologin und langjährige Mitarbeiterin des RKIs, wurde durch ihre Forschungen über das gefährliche Bornavirus zur Whistleblowerin. Im Jahr 2002 entdeckte sie bei der Untersuchung von Blutplasmaspenden mögliche hochinfektiöse Bestandteile, die das RKI jedoch weitgehend ignorierte. Trotz ihrer Vorschläge, den Spender zu sperren, wurden nur minimale Maßnahmen ergriffen. Ihre weitere Forschung zu dem Thema wurde blockiert. Dr. Bode erhielt Veröffentlichungsverbote und wurde versetzt, was ihre berufliche Laufbahn stark beeinträchtigte.
Wie Liv Bode in einem Vortrag berichtet, hatte die Verleihung des Whistleblower-Preis 2007 eine sehr positive Auswirkung auf sie. Zum einen wurde ihr Whistleblowing damit anerkannt, zum anderen hob das RKI ihr Publikationsverbot auf, wodurch sie in den folgenden Jahren zumindest in Ihrer Freizeit wieder zum Bornavirus forschen und veröffentlichen durfte. Sie betont, dass sie trotz der Repressalien auch heute wieder so handeln würde, da sie andernfalls ihre wissenschaftliche Überzeugung verleugnen müsse. (Wer mehr über Liv Bode und ihre Forschung an Bornaviren erfahren möchte, kann sich hier einen Vortrag von ihr anhören).
Gerhard Baisch erläuterte in einem kurzen Kommentar, dass sich die Situation von Whistleblower:innen im Bereich Militär und Geheimdienste verschlechtert habe. Als prominentes Beispiel führt er Julian Assange an, der von den USA verfolgt wurde. Die US-Regierung hatte unter Trump und Biden seine Auslieferung gefordert, was ein starkes Signal an Whistleblower:innen weltweit sendet: Wer geheime US-Dokumente veröffentlicht, muss mit Verfolgung und schweren Strafen rechnen. Auch die Pressefreiheit, vor allem im investigativen Journalismus, steht in den USA zunehmend unter Druck. Assange wird beispielsweise nicht für seine journalistische Tätigkeit anerkannt, sondern als Hacker dargestellt, wodurch er keinen Anspruch auf die Sonderrechte der Presse hätte. Dieses Narrativ hat auch in anderen Fällen Auswirkungen auf investigativen Journalismus. Auch in Deutschland sind Geheimdienste pauschal vom Hinweisgeberschutzgesetz ausgenommen. Dies erhöht das Risiko für Whistleblower:innen weiter, vor allem wenn es um sensible Informationen geht.
In der folgenden Diskussion wurde deutlich, dass auch mehrere der Anwesenden bereits mit Einschränkungen ihrer wissenschaftlichen Arbeit konfrontiert waren, insbesondere dann, wenn politische oder wirtschaftliche Interessen dagegen standen. Die Ausführungen zeigen, wie weit verbreitet die Schwierigkeiten sind, auch wenn viele Menschen nicht zu Whistleblower:innen werden. Als positives Beispiel nennt Frau Hilbeck ein kürzlich ergangenes Urteil, in dem eine Person unter Berufung auf die veröffentlichten RKI-Files Recht bekommen hat. Whistleblowing kann dabei unterstützten, Wahrheiten zu veröffentlichen, die danach auch für die Allgemeinheit zugänglich und nutzbar sind.
Zum Abschluss des Workshops zog Hartmut Graßl eine positive Bilanz. Er erinnerte daran, dass es im Laufe der Geschichte immer wieder bessere und schlechtere Zeiten gebe. Er selbst ist noch in einer Diktatur aufgewachsen, dem gegenüber ist die Lage heute in Deutschland sehr positiv. Wichtig sei eine starke Zivilgesellschaft. Insbesondere kleine zivilgesellschaftliche Gruppen könnten sehr viel bewegen!