09. Oktober 2024 | Energiewende und Widerstände – Interessen, Aufgaben, Sektoren

Die Energie- und die Klimakrise sind eng miteinander verbunden und müssen gemeinsam gedacht werden. In den letzten Jahren standen zunehmend andere Herausforderungen wie die Corona-Krise und der Krieg in der Ukraine im Vordergrund. Um die Energiewende sinnvoll voranzubringen und Vertrauen in die Transformation zu schaffen ist es jedoch entscheidend, diesen Themen eine Plattform zu bieten und sie gemeinsam zu diskutieren.

Wie gelingt der schrittweise Übergang zu erneuerbaren Energien? Wie kann in unserer heutigen Zeit eine demokratische Konfliktkultur im Hinblick auf die Energiewende etabliert werden? Und welche Herausforderungen erwarten uns in der Zukunft?

Mit diesen hochaktuellen Fragen beschäftigte sich die Veranstaltung „Energiewende und Widerstände: Interessen, Aufgaben, Sektoren“, die am Mittwoch, den 09. Oktober stattfand. Sie wurde von der Association for the Study of Peak Oil and Gas (ASPO), der Evangelischen Akademie zu Berlin und der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e. V. organisiert.

Die Veranstaltung eröffneten Akademiedirektorin Dr. Friederike Krippner, VDW-Beiratsvorsitzender Prof. Dr. Hartmut Graßl und ASPO Deutschland-Vorsitzender Jörn Schwarz. Dr. Krippner charakterisierte die Energiewende als einen zentralen Auslöser für politische und gesellschaftliche Konflikte unserer Zeit. Besonders populistische und extreme Parteien würden diese nutzen, um die bestehenden Spannungen zu schüren. Daher betonte sie, dass wir sachliche Diskussionen und lösungsorientiertes Handeln dringend benötigen. Diese Veranstaltung stehe im Zeichen einer solchen sachlichen Debatte.

Prof. Dr. Graßl bestätigte diese Ansicht und verwies auf seine langjährige Auseinandersetzung mit der Energiewende. Er erinnerte daran, dass der Begriff „Energiewende“ in den 1980er Jahren von einer Gruppe um Prof. Dr. Meyer-Abich in einer Enquete-Kommission des Bundestages geprägt wurde. Diese Gruppe stellte ein Szenario für 100 % erneuerbare Energien ohne Kernenergie auf, an dem wir uns noch heute orientieren sollten. Obwohl Deutschland als Vorreiter der Energiewende gilt, ist es laut Prof. Graßl noch weit davon entfernt, die notwendigen Ziele zu erreichen. Dennoch bleibt er optimistisch, dass demokratische Länder wirtschaftlichen Wohlstand mit der notwendigen Transformation des Energiesystems verbinden können.

Jörn Schwarz betonte in seinem Vortrag, dass angesichts der drohenden Klimakatastrophe und der Endlichkeit der fossilen Ressourcen ein Wandel dringend notwendig sei. Sein Vortrag verdeutlichte, dass bei einer globalen Erwärmung von 1,5 Grad Celsius 419 Millionen Menschen in unbewohnbaren Gebieten leben würden. Bei einem Anstieg um 2,7 Grad, welches das aktuell wahrscheinliche Szenario ist, könnte diese Zahl auf 2 Milliarden ansteigen. Diesem Ausgang sei dringend vorzubeugen.

Phasing-out fossiles Erdöl und Erdgas – Konversion – Phasing-in Erneuerbare

Jörg Schindler eröffnete den Block über die schrittweise Einführung erneuerbarer Energien mit einem Vortrag über den Stand der weltweiten Ölförderung. Dabei erläuterte er, dass die Förderung von Rohöl und Kondensat aufgrund der endlichen Ressourcen stark begrenzt ist. Ein Peak Oil, d.h. das Maximum der Ölfunde und -förderung, ist daher unvermeidlich. 2018 hat die weltweite Ölförderung ihren bisherigen Höhepunkt erreicht. Laut Jörn Schindler ist es unwahrscheinlich, dass dieser Wert in Zukunft überschritten wird. Erdöl wird daher nach seiner Einschätzung bis zum Ende des Jahrhunderts keine bedeutende Rolle mehr spielen.

Besonders aufschlussreich war seine Analyse des Fracking-Booms in den USA. Der Boom ist aus der Erkenntnis der Ölindustrie entstanden, dass die konventionelle Förderung nicht weiter gesteigert werden kann. Politische Maßnahmen wie die Lockerung des Safe Drinking Water Act ermöglichten daraufhin die Ausweitung des Frackings. Doch auch dieses Modell ist langfristig nicht tragfähig, da einzelne Bohrungen nur wenige Jahre rentabel sind und die Produktion ohne neue Bohrungen jährlich um bis zu 39 % zurückgehen könnte.

An den Vortrag anschließend beleuchtete Dr. Stella Oberle in ihrem Beitrag die zukünftige Rolle der Erdgasverteilnetze im deutschen Energiesystem. Die Ergebnisse ihrer Forschung zeigen, dass die Erdgasnachfrage langfristig sinken muss – auch durch den Ausbau alternativer Technologien wie „Power-to-Gas“ und „Power-to-Liquid“.

Die deutsche Erdgasinfrastruktur wird demnach in den kommenden Jahrzehnten einem tiefgreifenden Wandel unterzogen.

Dr. Oberle verdeutlichte dies anhand von drei Szenarien zur Stilllegung der Netze. Dabei stellte sie heraus, dass ein Szenario, bei dem die Netze teilweise stillgelegt werden und die Stilllegungskosten in die Regulierung einfließen, laut den Berechnungen sowohl für die Netzbetreiber als auch für die Verbraucher:innen die günstigste Lösung darstellt. Um den Übergang zu einer nachhaltigen Energiewirtschaft erfolgreich zu gestalten, sind eine vorausschauende Planung, die Anpassung der Nutzungsdauer von Gasleitungen und eine faire Verteilung der Rückbaukosten entscheidend.

Podiumsteilnehmende diskutieren über Phasing-out fossiles Erdöl und Erdgas Konversion Phasing-in Erneuerbare

In der anschließenden Diskussion wurden insbesondere mögliche Versorgungslücken und fehlende Informationen zu zukünftigen Szenarien thematisiert. Dabei wurde erörtert, was mit den 500.000 Kilometern Gasleitungen in Deutschland geschehen könnte, wenn die Gasnachfrage sinkt. Zudem stellte sich die Frage, wie Haushalte, die derzeit mit Gas heizen, künftig versorgt werden können. Dr. Oberle gab an, dass die Gasleitungen in Zukunft für den Transport von Wasserstoff nutzbar gemacht werden könnten.

Allerdings ergaben sich auch Bedenken hinsichtlich der Haftung und Nutzung der Infrastruktur: Wer übernimmt die Verantwortung, wenn es Probleme mit den Leitungen gibt, und wie kann der Übergang zu neuen Geschäftsmodellen gestaltet werden? Diese Fragen führten zu einem Appell, die Themen stärker in die Öffentlichkeit zu tragen und als Wissenschaftler:innen zusammenzuarbeiten, um Lösungen gemeinsam für die Politik aufzubereiten.

Jörg Schindler äußerte sich auf Nachfrage erneut zur intransparenten Politik im Bereich der Ölförderung. Er betonte, dass der Zugang zur politischen Entscheidungsfindung schwierig sei und dass die bereitgestellten Forschungsdaten teilweise unberücksichtigt blieben. Er appellierte an die Länder sich ein Beispiel an Großbritannien und Norwegen zu nehmen, die die einzigen Länder sind, die Förderverläufe für Ölprojekte transparent veröffentlichen.

Energiewende – Konflikte, Ängste, Interessen 

Dr. Fritz Reusswig sprach in seinem Vortrag über die „Energiewende in turbulenten Zeiten“. Er betonte, dass der Klimawandel in Europa eines der am stärksten polarisierten Themen ist. Eine demokratische Konfliktkultur sei daher unabdinglich. Dr. Reusswig hob hervor, dass niemand die Verantwortung für den Klimaschutz umgehen könne – auch passives Verhalten sei eine Positionierung. Die Energiewende ist demnach geprägt von immer volatileren politischen Entscheidungen und gesellschaftlichen Debatten, wie etwa um Fridays for Future oder die Letzte Generation.

Die Zustimmungsrate für diese Umweltbewegungen sank zwischen 2021 und 2023 in Umfragen von 60 auf 25 Prozent. Gegner der Energiewende zeigten dabei oft stärkere Emotionen als Befürworter. Daher müsse die Politik realistische, transparente Lösungen bieten, um einer Polarisierung und populistischen Diskursen entgegenzuwirken.

Zum aktuellen Zeitpunkt werde die gesellschaftliche Polarisierung durch Diskussionen zu Wärmepumpen und Gesetzesinitiativen noch verstärkt. Dr. Reusswig appellierte daher an die politischen Entscheidungsträger:innen sich mehr mit der Energiewende zu identifizieren und dies in die Öffentlichkeit zu tragen. Weitergehend forderte er den Aufbau vertrauensbildender Maßnahmen vor Ort, um die Energiewende zu finanzieren, und die Bürger:innen in Entscheidungen einzubeziehen.

In der folgenden Diskussion wurde der Zusammenschluss von interdisziplinären Wissenschaftsgruppen angeregt, und über die Verantwortung der Wissenschaft diskutiert.

Energiewende – die großen Sektoren 

Mira Wenzel spricht am Rednerpult stehend über den Stromsektor und Herausforderungen im Übergang zu 100 Prozent erneuerbarer Energie

Mira Wenzel von Agora Energiewende referierte in ihrem Vortrag über die Herausforderungen des Stromsektors auf dem Weg zu 100 % erneuerbarer Energie. Sie betonte, dass die Energiewirtschaft, die in den 1990er Jahren noch stark von fossilen Energien geprägt war, heute ein treibender Akteur der Energiewende ist.

Nach aktuellen Berechnungen hat die nationale und EU-Politik bereits Erfolge gezeigt: Seit 1990 konnte der Stromsektor seine Emissionen um 96 % senken, und 2023 erreichten die Emissionen den niedrigsten Stand seit 60 Jahren.

2022 deckten erneuerbare Energien über die Hälfte des deutschen Strombedarfs, wobei Windkraft mehr Strom lieferte als fossile Energien. Photovoltaik erzielte ein Rekordwachstum und übertraf den Höchstwert von 2012 um 6,2 GW.

Mira Wenzel hob hervor, dass der Netzausbau, die Energiespeicherung und die Einbindung der Bevölkerung beschleunigt werden müssen. Ein besonderer Fokus liegt dabei in den südlichen Bundesländern wie Baden-Württemberg und Bayern, wo Genehmigungen oft verzögert werden.

Abschließend betonte Mira Wenzel, dass klimaneutrale Energiewirtschaft der Schlüssel für die Klimaneutralität in anderen Bereichen wie Industrie, Verkehr und Gebäuden sei. Der Weg zu 100 % erneuerbaren Energien sei zwar anspruchsvoll, aber machbar.

Prof. Dr. Stefan Lechtenböhmer thematisierte in seinem Vortrag die zentralen Herausforderungen für zukünftige nachhaltige Energie- und Industriesysteme. Er betonte, dass die Emissionsminderungen in den nächsten 20 Jahren verdoppelt werden müssen, um Klimaneutralität zu erreichen.

Die Politik spiele dabei eine Schlüsselrolle, insbesondere durch klare Zielvorgaben für die Industrie.

Stefan Lechtenböhmer referiert über zukünftige nachhaltige Energie-und Industriesysteme

Ab 2040 sollen keine neuen Emissionsrechte mehr vergeben werden. Dies zwingt Unternehmen bereits heute, auf klimaneutrale Technologien umzusteigen, um auch weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben. Prof. Lechtenböhmer hob hervor, dass jährlich etwa 100 Milliarden Euro (2 % des BIP) in die Energietransformation investiert werden müssten, um notwendige Technologien und Infrastrukturen aufzubauen. Der Import von grünem Wasserstoff europaweit scheint für die nahe Zukunft als wahrscheinlichste Investition. Auch die Elektrifizierung biete großes Potenzial, um die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu reduzieren. Diese Veränderungen werden jedoch globalen Wettbewerb und hohe Energiekosten mit sich bringen.

Den Abschluss des Blocks bildete der Vortrag von Prof. Dr.-Ing. Mathias Seitz. Er betonte dabei, wie notwendig eine klimaneutrale Neuausrichtung der stark von fossilen Rohstoffen abhängigen chemischen Industrie ist. Eine Umstellung auf erneuerbare Ressourcen sei unverzichtbar, um die Klimaziele zu erreichen. Mit einem Energieverbrauch von rund 450 Terawattstunden jährlich, was etwa 20 % des gesamten deutschen Energiebedarfs ausmacht, spielt die chemische Industrie eine Schlüsselrolle im Energiesystem.

Prof. Seitz verdeutlichte die enormen Herausforderungen, die die Umstellung auf erneuerbare Energien in der Petrochemie mit sich bringt. So würde beispielsweise eine Power-to-Chemicals-Anlage eine Fläche größer als Berlin beanspruchen sowie beträchtliche Investitionen und Ressourcen wie Wasser und Katalysatoren erfordern. Diese Katalysatoren bestehen wiederum häufig aus Kunststoff, was das nachhaltige Ressourcenmanagement zusätzlich erschwert. Als Lösungsansätze schlug Seitz die Reduktion des Materialverbrauchs, verstärktes Recycling und die Produktion langlebiger Materialien vor.

Die Abschlussdiskussion verlief in einem lebhaften Austausch zwischen Publikum und Podium. Dabei wurde hervorgehoben, dass der Strombedarf in Deutschland durch die fortschreitende Elektrifizierung deutlich ansteigen wird. Die Teilnehmenden betonten, dass technologische Demut geboten sei, da sich Zukunftsszenarien oft unvorhersehbar ändern. Dennoch ist es notwendig, weiterhin Szenarien zu entwickeln, um eine gewisse Planungssicherheit zu gewährleisten, unabhängig von der politischen Lage.

Diskussion zur Energiewende die großen Sektoren

Es wurde auch darauf hingewiesen, dass Deutschland international beobachtet wird und bereits positive Fortschritte gemacht hat, etwa mit dem neuen Landesflächenbedarfsgesetz. Südkorea habe beispielsweise Interesse an einer ähnlichen Gesetzgebung bekundet.

Fazit

Zum Abschluss lag der Fokus darauf, dass ein Teil des Wissens nicht öffentlich zugänglich ist. Dabei gehe es letztlich immer auch um Machtfragen. Ein rationaler und informierter Diskurs sei jedoch entscheidend, um konstruktive Lösungen zu erarbeiten. In gemeinsamer Arbeit sei dies möglich.

Die Veranstaltung machte deutlich, dass die Kosten des Nichthandelns – menschlich und wirtschaftlich – unermesslich sein könnten und die Energiewende alternativlos ist, um das Schlimmste zu verhindern.

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