26. September 2023 | Grenzen überwinden – Strukturwandel in Antworten transformieren – interdisziplinär, intergenerational und transnational
Wie können wir den Strukturwandel in der Lausitz und darüber hinaus gemeinsam gestalten? Wie lassen sich mehr Menschen vor Ort in den Transformationsprozess einbeziehen? Was können unterschiedliche Akteur:innen voneinander lernen? Wie lösen wir Konflikte zwischen Generationen und auseinanderdriftenden Meinungen?
Den Strukturwandel gemeinsam gestalten – das war das Motto des 11. Aktionstages zur Aufklärung 2.0 an der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus-Senftenberg am 26.09.2023. Wir haben an diesem Tag aus unterschiedlichen Perspektiven auf die Zukunft der Lausitz geblickt und dabei zahlreiche Akteur:innen zu Wort kommen lassen: junge und alte, deutsche und polnische, naturwissenschaftliche und sozialwissenschaftliche. Der Aktionstag wurde von Dr. Maria Reinisch, Geschäftsführerin der VDW, und Dr. Johannes Staemmler, Referatsleiter Strukturwandel beim Präsidium der BTU Cottbus-Senftenberg, moderiert.
Der Tag begann mit einem Grußwort von Prof Dr. Peer Schmidt, Vizepräsident für Studium und Lehre an der BTU. Laut dem Vizepräsidenten sei die Universität ein „Motor im Strukturwandel in der Lausitz“ und damit eine besondere technische Universität mit sozialem Anspruch, der nicht zuletzt wahrgenommen wird durch den renommierten Studiengang „Sozialen Arbeit.“ Mit Blick auf den Aktionstag ermutigte er, besonders die intellektuellen Grenzen zu überwinden, voneinander zu lernen und so den Strukturwandel nachhaltig zu gestalten.
Prof. Dr. Alexandra Retkowski führte die Teilnehmer:innen thematisch in die Komplexität des Strukturwandels ein. Sie wies darauf hin, dass es wichtig sei, den Transformationsprozesse ganzheitlich zu betrachten und zu gestalten, da nur mit einem hinreichend komplexen Transformationsbegriff Veränderungen in der Gesellschaft verstanden werden können. Mit Blick auf den Strukturwandel in der Lausitz sei es wichtig, Transnationalität, Intergenerationalität und Interdisziplinarität in die Transformationsprozesse einzubeziehen.
Auf die Keynote von Prof. Dr. Alexandra Retkowski folgte eine Präsentation von Studentinnen der Sozialen Arbeit an der BTU. Die jungen Wissenschaftlerinnen teilten ihre Forschungsergebnisse zu der Frage, welchen Stellenwert Nachhaltigkeit in der Praxis der Sozialen Arbeit hat. Ihre Ergebnisse zeigten, dass der Hauptfokus auf dem ökologischen Aspekt der Nachhaltigkeit läge. Es wurde deutlich, dass auch hier eine ganzheitliche Betrachtung des Begriffes wichtig ist, und dass es wünschenswert wäre, Nachhaltigkeit als ganzheitliches Konzept bereits in der Ausbildung zu integrieren und Beauftragte für Nachhaltigkeit im Feld einzustellen.
Prof. Dr. Ernst Pöppel hielt daraufhin eine Keynote zum Thema: „Das Hirn im Strukturwandel: Grenzen erkennen, um sie zu überwinden.“ Er erläuterte, dass die Prägung eines jeden Menschen, bedingt durch die physikalische und kulturelle Umwelt, bereits früh stattfindet. Dadurch entstehen Vorurteile, Wertvorstellungen und Handlungssysteme, welche der Mensch braucht, um zurecht zu kommen. Dies führt einerseits zu einer monokausalen Betrachtung, von Prof. Pöppel „Monokausalitis“ genannt. Andererseits funktioniert das menschliche Gehirn komplementär. So haben wir beispielsweise ein evolutionäres Erbe und Umweltprägungen, sowie soziale Einbettung und Unabhängigkeit. Deshalb sei es wichtig, die einseitige Betrachtungsweise zu überwinden um gesellschaftliche Transformationsprozesse, wie den Strukturwandel in der Lausitz, erfolgreich voranzutreiben.
Nach der Mittagspause ging es weiter mit einem Gespräch zwischen Heike Bartholomäus, Geschäftsführerin des Zentrums für wissenschaftliche Weiterbildung an der BTU, und Svenja Göbel, die viel im Nachbarland Polen unterwegs ist. Die Grenzgängerin absolvierte ein bi-nationales Studium in Cottbus und Gorzów Wielkopolski (Polen) und spricht fließend polnisch. Sie berichtete von der Überbrückung kultureller und sprachlicher Herausforderungen und der Wichtigkeit des transnationalen Dialoges zwischen Polen und Deutschland.
Dem Interview folgte eine Keynote von Prof. Dr. Jürgen Wertheimer zum Thema „Kassandra aus der Lausitz. Das kulturelle und das gelebte Verständnis der Menschen einer Region.“ Der Name ‚Kassandra‘ steht als Synonym für die Unbelehrbarkeit in der Politik und Gesellschaft. So hat er das Projekt Cassandra ins Leben gerufen, um Literatur als Wissensressource ernst zu nehmen. Drei Jahre lang erforschten Prof. Dr. Jürgen Wertheimer und sein Team im Auftrag des Bundesministeriums der Verteidigung das prognostische Potential von Literatur in konfliktgefährdeten Regionen. Prof. Dr. Jürgen Wertheimer illustrierte die Lausitz als neue pluri-kulturelle und pluri-linguiste Drehscheibe in Europa und plädierte dafür, dass Literatur und Kultur dort weiter machen, wo politische Grenzen gezogen werden.
Im letzten Programmpunkt verteilten sich die Teilnehmenden auf fünf Themeninseln: „Senior:innen und die Zukunft der Lausitz,“ „Polnisch-deutsche Grenzräume und die Zukunft der Lausitz,“ „Nachhaltigkeit sozialer Arbeitspraxis im Strukturwandel,“ „Strategischer Aufbau von Zukunftskompetenzen: Wirtschaft und Utopie“ und „Demokratie und Rechtsruck.“ Die Arbeitsgruppen lieferten wichtige Impulse für die Zukunft der Lausitz aus verschiedenen Perspektiven. So wurde beispielsweise geschlussfolgert, dass es zahlreiche polnisch-deutsche Grenzgänger: innen gibt, aber für eine erfolgreiche Zukunft Zusammenarbeit und Offenheit auf beiden Seiten der Grenze erforderlich sind. Zudem sei die Zukunft der Lausitz abhängig von Menschen, die privat und beruflich das Potential der Region nutzen und Zukunftsvisionen strategisch umsetzten. Dabei sollte die soziokulturelle Forschung nicht vergessen werden und die Entwicklung der Region begleitend analysieren und aufarbeiten. Allerdings wurde darauf hingewiesen, dass seit 2015 in der Region ein klarer Rechtsruck spürbar ist, welcher auch soziale Auswirkungen nach sich trägt. Die Frage, wie man auf eine starke AfD-Wählerschaft reagiert, erfordert eine strukturelle Antwort und die Beteiligung vieler Bewohner: innen.
Im Abschluss wurden durch Prof. Dr. Alexandra Retkowski und Heike Bartholomäus die Perspektiven auf die Lausitz von den internen und externen Teilnehmenden gesammelt. Deutlich wurde, dass in der Lausitz ein großes Transformationspotential spürbar ist und dass die Energiewende als Chance für die Region gesehen werden sollte. Sollte der Strukturwandel weiterhin gemeinsam gestaltet werde, stehe einer positiven Zukunft der Lausitz nichts mehr im Wege.