Am 7. März 2016 verstarb Horst Afheldt im Alter von 91 Jahren in Hamburg-Blankenese. Er war von 1960-1970 Geschäftsführer der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW e.V.), später von 1970-1980 maßgeblicher Mitarbeiter von Carl Friedrich von Weizsäcker im Starnberger Max-Planck-Institut und schließlich bis 1989 Leiter der eigenständigen AG Afheldt in der Max-Planck-Gesellschaft. Er hat als Forschungsleiter, Publizist und Wissenschaftler wichtige Impulse und Beiträge für die VDW, die Pugwash-Bewegung und für die deutsche wie internationale Friedenspolitik aber auch für die Globalisierungsdebatte gegeben.

Als junger Soldat erlebte Horst Afheldt am Ende des Zweiter Weltkrieges hautnah die Auflösung von Machtapparaten auf Grund deren eigener Widersprüche, die sich aber zuvor mit Gewalt und scheinbar unersetzbar in Szene gesetzt hatten. Er zog daraus die Konsequenzen, sich zunächst der Friedenspolitik und Kriegsverhütung zu widmen, was im aufziehenden Atomzeitalter zur Pflichtaufgabe für die Menschheit wurde. Nach dem Studium von Physik und Jura in Hamburg und einer Tätigkeit beim Norddeutschen Rundfunk wurde er intellektueller Weggefährte von Carl Friedrich von Weizsäcker. Von 1960 bis 1970 war Afheldt zunächst Geschäftsführer der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler, die 1959 mit Weizsäckers maßgeblicher Beteiligung gegründet worden war. Er leitete deren Forschungsstelle in Hamburg und war als Geschäftsführer auch an der Gründung der deutschen Pugwash Gruppe beteiligt.[1] Er vertrat die VDW und die Gruppe um Carl Friedrich von Weizsäcker bei internationalen Treffen und bei den Workshops der „Study Group on European Security“. Das erste internationale Treffen wurde 1968 in Kiel u.a. von Horst Afheldt organisiert. Auch in den Folgejahren nahm er rege an Pugwash-Treffen teil. Das erste VDW-Memorandum „Ziviler Bevölkerungsschutz heute“ von 1961/62 zeigte, dass ein realistischer Bevölkerungsschutz im Atomzeitalter in Deutschland nicht gewährleistet war.

Die Studie der VDW-Forschungsstelle zur deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, veröffentlicht unter dem Titel „Kriegsfolgen und Kriegsverhütung“ (Hrsg. Carl Friedrich von Weizsäcker, Carl Hanser Verlag, 1971) legte u.a. auf der Grundlage exakter Modellierungen dar, dass eine atomare Verteidigung, auf welche sich die Verteidigungspolitik zu dieser Zeit stützte, das zu verteidigende Land verwüsten und für lange Zeit unbewohnbar machen würde. Die Studie hatte eine nachhaltige Wirkung bei militärischen Fachleuten, auch bei einigen Politikern, weniger in der Öffentlichkeit. Von 1970 bis 1980 war Afheldt Leiter der sicherheitspolitischen Arbeitsgruppe des Starnberger Max-Planck-Instituts zur Erforschung der wissenschaftlich-technischen Welt und beschäftigte sich intensiv mit den Widersprüchen der westlichen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, mit den damals vorherrschenden Nuklearstrategien und mit Fragen der europäischen Sicherheit und der Rüstungskontrolle. Nach Schließung des Instituts leitete er bis 1989 die AG Afheldt in der Max-Planck-Gesellschaft. Die öffentliche Kritik an der atomaren Strategie, die die beiden Supermächte ihren jeweiligen europäischen Verbündeten auferlegten, verstärkte sich Ende der 70er-Jahre zusehends. Unter dem Eindruck des Doppelbeschlusses der NATO von 1979 zur Stationierung neuer, zielgenauer Mittelstreckenwaffen in Europa als Antwort auf die Stationierung sowjetischer SS-20 Mittelstreckenraketen sammelte sich der Protest im Westen in der Friedensbewegung. Horst Afheldts Buch „Defensive Verteidigung (rororo Taschenbuch, 1983) wurde eines seiner grundlegenden und vieldiskutierten Texte. Gleichzeitig wurden in Afheldts Arbeitsgruppe neue Vorschläge zur Rüstungskontrolle, zur strukturellen Nichtangriffsfähigkeit und zur europäischen Sicherheit entwickelt, die auch unter Michail Gorbatschow Gehör in Moskau fanden. Afheldt wurde sehr schnell zu einem Experten auf dem Gebiet der Verteidigungspolitik und entwickelte zusammen mit C.F. von Weizsäcker wirkungsvolle und breit wahrgenommene Gedanken und Konzepte.[2]

Afheldts Argumentation beruhte stets auf einer radikal realistischen, oft quantitativ gestützten Analyse, die nicht nur die NATO-Verteidigungspolitik, sondern auch die Rüstungskontrollpolitik des Westens einschloss. Afheldt gehörte keiner Denkschule an, unter deren Schirm er vertraute, Sekundanten und vorgefertigte Argumentationen gefunden hätte. Er gab sich nicht mit Kritik zufrieden, sondern entwickelte mit ebenso großem Eifer Gegenkonzepte und Alternativen. Sein Spaß an intellektueller Auseinandersetzung, auch in ihrer Schärfe nicht verletzend, die Entlarvung innerer Widersprüche herrschender Denkgerüste, machte ihn zum ernstzunehmenden, doch auch für manche zu einem unbequemen Diskussionspartner. Sein zentrales Anliegen war die Erhaltung und die Gewinnung politischer Handlungsfreiheit für die Stabilisierung militärischer, wirtschaftlicher oder sozialer Entwicklungen, während herrschende Strukturen die Möglichkeit zur politischen Steuerung oft zu untergraben versuchten und dabei als Gefangene ihrer eigenen Argumentation auf politische und gesellschaftliche Katastrophen zusteuerten. Schon in seiner Starnberger Zeit stellte er die Verheißungen der Globalisierung in Abrede, indem er sich mit Kollegen eingehend mit den Statistiken des Wirtschaftswachstums beschäftigte. Nach seiner Pensionierung beschäftigte er sich weiter mit der empirischen Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung großer Industrieländer. Die Ergebnisse wurden im Buch „Wohlstand für niemand? Die Marktwirtschaft entläßt ihre Kinder“ (Verlag Antje Kunstmann, 1994) publiziert, das zu einem vielbeachteten Sachbuch des Jahres wurde. Afheldt zeigte, dass die Hypothese des andauernd exponentiellen Wachstums eine Chimäre ist, allerdings mit weitreichenden sozial- und wirtschaftspolitischen Folgen. Um mit dem realen Wirtschaftswachstum Schritt zu halten, das vielmehr linear zunimmt, muss der exponentielle Faktor stets nach unten korrigiert werden. Die Wirtschafts- und Sozialpolitik beharrt trotzdem weiter auf der Grundannahme eines exponentiellen Wachstums. Die etablierte Lehrmeinung tat das Ihrige, um durch Kritik des Buchs seine mögliche Wirkung zu unterdrücken. Neuere Studien bestätigen hingegen Afheldts Einsicht. Horst Afheldt ist in seiner Freizeit zusammen mit seiner Frau oft seinem Hobby, dem Segeln auf den Meeren nachgegangen, was den Blick für das Wesentliche über Horizonte hinweg stets geweitet hat.

Wir trauern um einen originellen Denker, Mahner und Anreger, der – obwohl zu Unrecht nicht so sehr im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehend – wichtige Gedanken zu existenziellen Leitfragen Deutschlands und der europäischen Sicherheit beigetragen hat.

Otfried Ischebeck, Mitarbeiter AG Afheldt, Gauting

Götz Neuneck, Pugwash-Beauftragter in der VDW, Hamburg

 

[1] Götz Neuneck: Die deutsche Pugwash-Geschichte und die Pugwash-Konferenzen- Ursprünge, Arbeitsweise und Erfolge- Das Ende des Kalten Krieges und die Herausforderungen der Zukunft in: Stephan Albrecht, Hans-Joachim Bieber, Reiner Braun, Peter Croll, Henner Ehringhaus, Maria Finkh, Hartmut Graßl, Ernst-Ulrich von Weizsäcker (Hrsg.): Wissenschaft-Verantwortung-Frieden: 50 Jahre VDW, Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2009, S. 377-392.

[2] Siehe z.B. sein grundlegendes Buch: Verteidigung und Frieden, Hanser Verlag 1976

Horst Afheldt

10. Oktober 1924 – 7. März 2016

© Verlag Antje Kunstmann