Unter diesem Motto hielt Ernst Ulrich von Weizsäcker auf dem VDW-Symposium „eine Art Berliner Rede“. Sie befasst sich insbesondere mit der Frage, wie wir in einer „vollen Welt“ überleben können.

In der Vergangenheit lagen die Dinge recht einfach: Die Welt war „leer“ – also groß im Vergleich zu den Aktivitäten des Menschen. „Aus dieser leeren Welt stammen unsere Fruchtbarkeit, die Kulturen der Welt und die Raubbau-Ökonomie“, so von Weizsäcker.

Diese volle Welt – „Anthropozän“ genannt, weil vor allem vom Menschen gestaltet – ist ein recht neues Phänomen und erst nach 1950 entstanden. Trotzdem zeigen sich ihre Auswirkungen bereits an vielen Stellen: Klimawandel, Artensterben, Ozeanverschmutzung, vergiftete Böden.

Wie sehr sich der Mensch den Planeten inzwischen untertan gemacht hat, zeigte von Weizsäcker anhand einer Zahl: Im Anthropozän verteilen sich 97 Prozent des Körpergewichts aller Wirbeltiere an Land auf den Menschen (30 Prozent) sowie seine Haus- und Schlachttiere (67 Prozent). Nur 3% bleiben für wildlebende Tiere. „Kein Wunder, dass nun das Artensterben zum großen Drama wird“, kommentierte von Weizsäcker. „Eine Million Arten sind entweder gefährdet oder bereits ausgestorben.“

Beim Klimawandel ist vor allem der Anstieg des Meeresspiegels bedrohlich. Und dieser kann, wie die Erdgeschichte zeigt auch mal ganz plötzlich eintreten, wenn das Polareis ins Rutschen kommt. „Weit über eine Milliarde Menschen leben direkt am Meer, 800 Millionen davon in Asien“, so von Weizsäcker. „Wenn sie auf einmal zu Flüchtlingen werden, haben wir ein Problem, das tausend Mal größer ist als 2015!“

Die Politiker haben aus seiner Sicht keine befriedigenden Lösungen parat, weil sie zur Lösung der Klimakrise auf noch mehr Wachstum setzen – und Wachstum gehe mit steigenden CO2-Emissionen einher. „Wir sind scheinbar halbwegs anständige Diagnoseärzte: Die globale Erwärmung ist eine schwere Krankheit“, sagte von Weizsäcker. „Aber als Therapieärzte sind wir sind komplette Versager. Systematisch schlagen wir Therapien vor, die die Krankheit schlimmer machen. Wenn das nicht eine philosophische Krise anzeigt!“

Warum ist das so? „Die Wahrheit ist eben unbequem – Lügen sind hingegen bequem, für Populisten und andere.“ Zur Wahrheit gehöre auch, dass die große Dynamik derzeit in den Entwicklungsländern stattfinde – beim Bevölkerungswachstum ebenso wie beim Bau neuer Kohlekraftwerke (dort sind alleine 1.200 neue Kohlekraftwerke in Planung oder im Bau). „Insofern ist eine Klimapolitik, die nur die Industrieländer betrifft, weitestgehend sinnlos!“, fasste von Weizsäcker zusammen.

Zur Lösung der Probleme schlug von Weizsäcker mehrere Maßnahmen vor – Themen an denen die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler, das Wuppertal Institut und der Club of Rome intensiv arbeiten, vordenken und sich engagieren :

  • Strategisch und philosophisch nachdenken über die Aufgaben in der vollen Welt: Eine neue Aufklärung. Zentral darin ist die Forderung nach Recht statt Rechthaberei sowie nach Balance und Stabilisierung. Gefragt sind stabile Systeme mit negativer Rückkopplung. „Ein System ohne negative Rückkopplung ist entweder leblos oder begeht Selbstmord. Jeder Biologe weiß das. Aber in der Ökonomie kommt dieses fundamentale Gesetz praktisch nie zur Geltung.“ Der Club of Rome fordert in seinem dritten großen Bericht „Wir sind dran“ eine neue Aufklärung. Eine Aufklärung, die zur Vollen Welt passt.
  • Die Preise müssen die ökologische Wahrheit sagen: Der Kommunismus sei zusammengebrochen, weil er den Preisen nicht erlaubt habe, die ökonomische Wahrheit zu sagen. „Aber der Kapitalismus wird zusammenbrechen, wenn er den Preisen nicht erlaubt, die ökologische Wahrheit zu sagen! Hier kommt die CO2-Steuer ins Spiel. Man kann sie sozialverträglich und industrieverträglich gestalten.“
  • Klimapolitik weltweit statt national: Einen Budget-Ansatz wie ihn der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU) entwickelt hat. Verschiedenen Ländern würde danach je nach bereits erfolgten CO2-Emissionen ein „Restbudget“ zugestanden, bevor sie völlig klimaneutral werden müssen. „Der Budget-Ansatz würde den Klimaschutz in den Entwicklungsländern lukrativ machen. Das wäre sensationell! Die Klimakonferenzen würden auf einmal richtig Sinn machen.“ Die Pioniere auf diesem Gebiet könnten die Gewinner sein, wenn man es richtig anpackt.
  • Technische Effizienzrevolution: Von Weizsäcker hält die starke Entkoppelung der Wirtschaftsleistung von Treibhausgasemissionen und vomNaturverbrauch für machbar. Technisch ist das nachgewiesen, aber es muss auch profitabel werden. Hierzu sollten die CO2- und Rohstoffpreise laufend parallel zu den Effizienzgewinnen angehoben werden. Die Märkte schaffen das nicht. Es muss politisch gewollt und durchgesetzt werden.
  • Technikfolgenabschätzung und Kritik am amerikanischen „disruptive“-Hype: Es gebe immer wieder faszinierende neue Technologien. Aber fast immer enthielten sie auch Gefahren, manchmal tödliche. Der amerikanische Hype um „disruptive technologies“ ignoriere die Gefahren meistens. Das gilt momentan für die Super-Gentechnik, genannt Gene Drive. „Technikfolgenabschätzung ist das Mittel der Wahl. Es ist eines der Kernthemen der VDW!“
  • Balance zwischen Innovation und Stabilisierung: „Menschheit und Natur sind ja nicht nur durch die Klimaerwärmung in Gefahr. Die aberwitzige Beschleunigung der Wirtschaftsprozesse ruft eine große Gefahr der Destabilisierung auf den Plan.“ Es werde viel Zeit kosten, bis sich dieser Systemfehler der Geschwindigkeitsprämien und der Verhinderung negativer Rückkopplung in unserer Zivilisation herumgesprochen habe. Dann aber hofft von Weizsäcker auf eine „Fridays for Stabilization“-Bewegung.

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