Prof. Dr. rer. nat. Klaus Gottstein
geboren am 25. Januar 1924
verstorben am 20. März 2020
„60 Jahre Russel-Einstein-Manifest“ mit einem „Rückblick auf die ‚Methode Pugwash'“ von Klaus Gottstein
Hier finden Sie eine Auswahl von Bildern aus Klaus Gottsteins wissenschaftlicher Laufbahn ab 1970.
Die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler trauert um Prof. Dr. Klaus Gottstein, ein langes und verdientes VDW-Mitglied, bekannter Physiker, wissenschaftliches Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft, Organisator vieler Konferenzen, Pugwash-Beauftragter und Friedensforscher.
Klaus Gottstein wurde am 25. Januar 1924 in Stettin geboren und studierte nach seinem Abitur in Berlin-Dahlem (1941) an den Universitäten in Berlin und Göttingen Physik. Nach dem Diplom 1951 beschäftigte er sich am Max-Planck-Institut für Physik in Göttingen in der experimentellen Abteilung von Karl Wirtz mit dem Nachweis schwerer Kerne aus der kosmischen Strahlung. Die Kernemulsionsplattentechnik hatte er bereits in Bristol 1950/51 bei dem Nobelpreisträger Cecil F. Powell kennengelernt [1], der einer der Erstunterzeichner des Russell-Einstein-Manifestes von 1957 war. [2] Er wertete nach Teilnahme bei zwei Messkampagnen 1952/53 in Italien Messungen kosmischer Strahlungen aus Ballonexperimenten von Cecil Powell und Edoardo Amaldi aus, denn zu diesem Zeitpunkt war dies die einzige Quelle hochenergetischer Strahlung. Die Promotion erfolgte am 12. Juni 1953 in Göttingen. Später forschte er u.a. in Stanford, am Cosmotron in Brookhaven und am Bevatron in Berkeley. 1956 arbeitete er sich in der Gruppe von Luis W. Alvarez in die Blasen-kammertechnik ein, was dann Gegenstand seiner Habilitation 1960 an der LMU wurde. 1961 wurde er wissenschaftliches Mitglied am MPI für Physik und Astrophysik und ab 1965 Leiter der experimentellen Abteilung. Bis 1971 war Klaus Gottstein Mitglied des Wissenschaftlichen Rats von DESY, des European Committee for Future Accelerators ECFA (CERN, Genf) und des Hochenergie-Ausschusses des Arbeitskreises Kernphysik beim BMFT. Damit war er fest in der Physik etabliert und verfügte über hervorragende Kontakte in der Physik-Community und in der Wissenschaftspolitik.
1970 wandte sich Klaus Gottstein wissenschaftspolitischen Aufgaben der Physik und der Wissenschaftspolitik allgemein zu. Von 1971 bis 1974 sammelte er als Wissenschaftsattaché an der Deutschen Botschaft in Washington Erfahrungen in der Diplomatie.
Von 1974 – 1977 arbeitete er mit dem damaligen Vorsitzenden C.F. von Weizsäcker im „Beratenden Ausschuss für Forschung und Technologie“ (BAFT) der Bundesrepublik Deutschland im BMFT, dann bis 1980 im „Max Planck Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt“. Von 1980 bis 1984 war Gottstein Direktor der nach ihm benannten Arbeitsgruppe in der Max-Planck-Gesellschaft, die das Themenfeld „Fragen im Grenzbereich zwischen Wissenschaft und Politik“ bearbeitete. Schwerpunkte seiner Arbeit waren globale Sicherheit, Rüstungskontrolle, Energieversorgung, Ost-West-Kooperation im Rahmen der KSZE und Technologien in den Entwicklungsländern. 1984 gründete er die selbstständige „Forschungsstelle Gottstein in der Max-Planck-Gesellschaft“ und leitete sie bis zu seiner Emeritierung 1994. Er organisierte mit seiner Forschungsgruppe wichtige Tagungen zur Wissenschaftspolitik, zur Rüstungskontrolle (z.B. Strategic Defense Initiative, 1986 in Tutzing) und zu globalen Sicherheitsproblemen im Ost-Wes- und Nord-Süd-Kontext. Seine Arbeitsgruppe veröffentlichte Bücher, Tagungsberichte und viele weitere Papiere und Publikationen.
Neben der Physik und der Wissenschaftspolitik galt Gottsteins Beschäftigung der internationalen Sicherheit. 1976 wurde Gottstein in den Vorstand der VDW gewählt und zugleich Vorsitzender der deutschen Pugwash-Gruppe. Er nahm an 42 Pugwash-Treffen sowie an den ISODARCO-Kursen teil.[1] [3] Auch war er der Organisator der 27. Pugwash Conferences on Science and World Affairs in München 1977. Zusammen mit seinen Mitarbeitern wurde er zu einem ausdauernden und energischen Organisator für verschiedene internationale Seminare und Treffen, die sehr gut dokumentiert sind.
Klaus Gottstein sammelte wertvolle Erfahrungen in der Wissenschaftspolitik in internationalen Organisationen: Er wurde vom BMFT gebeten, die wissenschaftlichen Beiträge der Bundesrepublik Deutschland zur Vorbereitung auf die „UN Conference on Science and Technology for Development (UNCSTD)“ von 1979 zu koordinieren. 1981 wurde er Mitglied des „Advisory Panel on Science, Technology and Society” der UNESCO in Paris und von 1983-1991 war er Mitglied der UNESCO-Kommission. Im Korb II der KSZE war auch die Verbesserung der wissenschaftlichen Kooperation zwischen Ost und West verankert. Klaus Gottstein organisierte 1978 auf Bitten des Auswärtigen Amtes ein Expertentreffen der 35 Mitgliedsstaaten zur Vorbereitung auf das „Wissenschaftliche Forum der KSZE“, das dann vom 18.2. bis 2.3 1980 in Hamburg stattfand. Er wurde von den 35 Delegationen zum Exekutivsekretär des KSZE-Forums gewählt.
Des Weiteren war er seit 1986 auch als Repräsentant der Union der Deutschen Akademie der Wissenschaften für die internationalen Amaldi-Konferenzen verantwortlich, die 1986 mit Hilfe der CISAC-Gruppe[2] der US National Academy of Sciences zusammen mit den europäischen Akademien gegründet wurde. Die italienische Accademia dei Lincei organisiert bis heute die europäischen Amaldi-Konferenzen, an denen er fast immer teilnahm. [4] Klaus Gottstein gehörte dem internationalen Organisationskomitee der Amaldi-Konferenzen an und organisierte selbst zwei dieser Konferenzen in Deutschland: 1999 in Mainz und 2008 in Hamburg mit Götz Neuneck.
Bei den Jahrestreffen der Max-Planck-Gesellschaft war er bis zuletzt ein gern gesehener Gast. 2012 erhielt er die Ehrennadel für 50 Jahre Mitgliedschaft. Bereits im Sommer 2011 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Sein Abschiedskolloquium war seinem Lebensthema: „The Role of Science in Politics and the Role of Politics in Science“ gewidmet. Als Professor Emeritus war er rüstig und aktiv bis zuletzt, sowohl bei Veranstaltungen der VDW als auch bei den internationalen Amaldi-Konferenzen. Seit seiner Emeritierung als Universitätsprofessor für Atomphysik war Gottstein Gastprofessor der Bundeswehr-Universität München in Neubiberg, wo ihm ein voll ausgerüstetes Arbeitszimmer bis zuletzt zur Verfügung stand. Dort arbeitete er täglich an Buchbeiträgen, Vorträgen und Publikationen zu Fragen der Atomforschung seines Lehrers Werner Heisenberg in der NS-Zeit und der globalen Sicherheit und Wissenschaftspolitik. Aus dieser Arbeit riss ihn die Corona Infektion, die seinen raschen Tod bewirkte.
Seine freundlich zuvorkommende Art, seine ausdauernde Verlässlichkeit und sein breites Wissen sowie seine internationalen Kontakte machten ihn nicht nur zu einem angenehmen Gesprächspartner und Ratgeber für viele, sondern auch zu einer treibenden Kraft in Deutschland bezüglich der Themen globaler Sicherheit und der wissenschaftlichen Expertise. Er war bescheiden, arbeitsam bis zuletzt intellektuell wach. Von ihm konnte man lernen, hochrangige interdisziplinäre Treffen trotz politischer und organisatorischer Hürden konzeptionell vorzubereiten, zu strukturieren, durchzuführen und zu dokumentieren. Seine verlässlichen internationalen Kontakte halfen die deutsche Pugwash-Gruppe aufzubauen, international zu vernetzen und weiterzuentwickeln. Er war ein Pionier der naturwissenschaftlichen Friedensforschung.
Die Unterzeichner blicken dankbar auf eine letzte gemeinsame Begegnung am 16. Oktober 2019 in Hamburg zurück. Dorthin war Klaus Gottstein alleine aus München mit dem Zug angereist, um sich aktiv in ein Colloquium zur Verabschiedung von Götz Neuneck am IFSH einzubringen. Wie wir nun wissen, unsere letzte Gelegenheit in das anregende Gespräch mit dem beeindruckenden Wissenschaftler einzutreten. Die VDW und die deutsche Pugwash-Community werden seinen Rat und seine Tatkraft vermissen, aber seinem Erbe verpflichtet bleiben.
[1] International School on Disarmament and Research on Conflicts (University of Rome; Rome, Italy) Siehe: http://www.isodarco.it/
[2] CISAC steht für Committee on International Security and Arms Control (CISAC) und wurde 1980 gegründet
Prof. Dr. Götz Neuneck, Deutscher Pugwash Beauftragter
Prof. Dr. Hartmut Graßl, Vorsitzender der VDW
Prof. Dr. Ulrich Bartosch, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der VDW
Biografische Daten:
Deutscher Physiker, Wissenschaftler bei der Max-Planck-Gesellschaft und Friedensforscher
1941 Abitur in Berlin Dahlem
1951 Diplom nach Studium der Physik, an der Universität Göttingen
1951-1971 Experimentelle Abteilung Max-Planck-Institut für Physik in Göttingen (Leitung Karl Wirtz): – Auswertung von Kernemulsionsplatten mit Bahnen von Teilchen kosmischer Höhenstrahlung (mit Martin Teucher)
1953 Promotion in Göttingen über schwere Kerne in der kosmischen Höhenstrahlung
1956 Hochzeit mit Karin Pätzold, vier Kinder
1960 Habilitation und 1967 Professur Universität München
Ab 1961 Mitglied des Max-Planck-Instituts für Physik und Astrophysik und Leiter der experimentellen Abteilung unter dem Direktorat von Werner Heisenberg
1971-74 Wissenschaftsattaché in Washington
1981 Mitglied Advisory Panel on S&T and Society, UNESCO, Paris
1983-91: Mitglied “Deutsche UNESCO-Commission”
1993: Mitglied “Advisory Panel on Science Policy der UNESCO”
1984 – 1992 Direktor der Forschungsgruppe Gottstein in München
1986-2008 Repräsentant der Union der Deutschen Akademie der Wissenschaften verantwortlich für die internationalen Amaldi-Konferenzen
Literaturauswahl:
[1] Zum wissenschaftlichen Werdegang siehe: https://wwwold.mpp.mpg.de/mpg/websitePhysik/pr/newsroom/pressemeldungen2012/Gottstein-50JahreMPG/pdf/Gottstein-Werdegang.pdf
[2] Klaus Gottstein: Looking back on the Pugwash approach in: Ulrich Bartosch; Götz Neuneck; Ulrike Wunderle (Hrsg.): The Russell-Einstein-Manifesto – 60 Years on: Remember Your Humanity and Forget the Rest! Challenges Facing Disarmament, Berlin August 2017, 85 Pages, Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e.V. (ISBN: 978-3-9818132-1-0) incl. Preface by the Editors, S. 13-19. https://www.vdw-ev.de/wp-content/uploads/2017/10/VDW_REM_EN_WEB-1.pdf
[3] Klaus Gottstein: Erinnerungen an Pugwash und an die Rolle der VDW als deutsche Pugwash-Gruppe in: Götz Neuneck und Michael Schaaf, Eds. (2007). Zur Geschichte der Pugwash-Bewegung in Deutschland. Preprint 332. Berlin, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte. S. 39-62. http://www.gbv.de/dms/weimar/toc/543270505_toc.pdf
[4] Klaus Gottstein: Die Amaldi Konferenzen in: Christian Forstner und Götz Neuneck, Eds. (2018). Physik, Militär, Frieden. Physiker zwischen Friedensforschung und Friedensbewegung. Springer Spektrum. Wiesbaden, Springer Nature. S.231- 259.