Oder: Nach der „Bringschuld“ durch die Wissenschaft die „Annahmepflicht“ durch die Gesellschaft

*Der Beitrag spiegelt die persönliche Meinung des Autors wider und entspricht nicht zwangsweise der Meinung der VDW.

Das jüngste schwere Hochwasser in Teilen Deutschlands und Belgiens, das zu einer für die meisten nicht mehr vorstellbaren Katastrophe mit über 200 Toten führte, ist ein Paradebeispiel für fehlendes Ernstnehmen von guter bis exzellenter Warnung vor drohender Lebensgefahr, sowohl bei manchen Behörden als auch bei vielen Bürgern. Die weltweit kräftig zunehmenden globalen Klimaänderungen durch uns Menschen, die nachweislich zur höheren Intensität eines Niederschlagsereignisses beitragen, werden bezüglich ihres Potenzials für neue extreme Wetterereignisse in der Öffentlichkeit weithin unterschätzt; obwohl die physikalischen Grundlagen zum Teil aus dem 19. Jahrhundert stammen und sich in der wissenschaftlichen Literatur aber auch in den seriösen Medien die Befunde und Berichte über die neuen Extreme häufen. Im Folgenden möchte ich zunächst über die starke Temperaturabhängigkeit des Wasserdampfgehaltes der Luft reden, der eigentlichen physikalischen Basis der vielerorts neuen Niederschlagsextreme. Danach diskutiere ich die noch wissenschaftlich nicht gesicherte Schwächung des Strahlstroms in etwa 10 Kilometern Höhe als eine mögliche Folge der besonders starken Erwärmung der Arktis. Diese Abschwächung könnte vor allem im Sommerhalbjahr die Wahrscheinlichkeit zu sich nur langsam bewegenden Hoch- und Tiefdruckgebieten erhöhen, was je nach geografischer Länge und Breite des Mäanders des Strahlstroms regional zu entweder bisher nicht bekannten Dürren oder Rekordpegeln bei Hochwassern führt. Und schließlich füge ich eine weitere dynamische und thermodynamische Eigenschaft der Atmosphäre hinzu, nämlich die bei erwärmter Oberfläche höher reichende Konvektion, wodurch pro °C Erwärmung an der Oberfläche bei Gewittern bis über 10% höhere Regenraten und damit verstärkt Sturzfluten möglich sind.

Nach dieser naturwissenschaftlichen Teilklärung möchte ich über Fehler bei der Diskussion über die Folgerungen aus der Zerstörung berichten, einen Ausblick zu zukünftigem Extremwetter geben und offensichtliche, aber dabei auch schwierige Reaktionen vorschlagen.

Der stark temperaturabhängige Wasserdampfgehalt der Luft

Im Jahre 1844 hat Heinrich Gustav Magnus die nach ihm benannte Gleichung vorgestellt. Sie beschreibt den exponentiellen Anstieg des maximalen Wasserdampfdrucks als Funktion der Temperatur. Nach ihr steigt der sogenannte Sättigungsdampfdruck des Wasserdampfes – er ist erreicht, wenn sich am Ort Nebel oder Wolken bilden – mit nur 6,112 hPa (Hektopascal) Anteil bei 0°C von den insgesamt etwa 1013 hPa Luftdruck bei 10°C schon auf doppelte 12,3 hPa und bei 20°C auf erneut fast verdoppelte 23,4 hPa. Ein Beispiel aus dem Alltag: Wer im Winter bei 0°C und Nebel stoßlüftet, hat danach in seinem Wohnzimmer bei 20°C nur noch eine relative Feuchte von ca. 27%, also sehr trockene Luft. Mit jedem °C Temperaturanstieg nimmt der maximal mögliche Wasserdampfgehalt der Luft also um fast 7% zu. Strömt heute Luft, die in Deutschland im Mittel bereits um 1,6°C Grad wärmer ist als um 1900, im Bergland bei Bewölkung mit Niederschlag hangaufwärts, dann wird die Niederschlagsrate bei sonst unveränderten Strömungsbedingungen und bei unveränderter relativer Feuchte im Talgrund mindestens um 11% höher sein. Die Luft, die wir einatmen, enthält im Mittel heute mehr Wasserdampf als um 1900.

Der schwächelnde Strahlstrom?

Das Starkwindband in etwa 10 Kilometern Höhe, definiert mit einer Windgeschwindigkeit über 30 Meter pro Sekunde, das im Winter oft Windgeschwindigkeiten über 300 Kilometer pro Stunde erreicht, „führt“ die Tiefdruckgebiete mittlerer Breiten. Dieses etwa hundert Kilometer breite Gebiet besonders hoher Windgeschwindigkeit wird von den Meteorologen Strahlstrom (engl. jetstream) genannt. Bei hohen Temperaturunterschieden zwischen niedrigen und hohen geografischen Breiten einer Erdhälfte, also im jeweiligen Winter, ist die Windgeschwindigkeit im Strahlstrom besonders hoch und die in der unteren Atmosphäre dann besonders kräftigen Tiefdruckgebiete verlagern sich schnell, beispielsweise in nur wenigen Tagen vom westlichen Nordatlantik vor Kanada bis nach Skandinavien.

Ist der bei den jüngsten Hochwassern in Deutschland schwach ausgeprägte und stark mäandrierende Strahlstrom mit einem sich kaum verlagernden Tiefdruckgebiet im südlichen Mitteleuropa typisch für die anthropogenen Klimaänderungen? Die Antwort auf diese Frage ist eine noch nicht eindeutig beantwortete Forschungsfrage. Denn die Temperaturdifferenz zwischen niedrigen und hohen Breiten, der Antrieb für den Strahlstrom, ist je nach Höhe in der Atmosphäre durch die anthropogenen Klimaänderungen zu- oder abnehmend. Während in der unteren Atmosphäre und an der Oberfläche die Temperaturdifferenz schrumpft, weil sich die Arktis rascher erwärmt als die Tropen und Subtropen, gilt das für die Strahlstromhöhe von etwa 10 km nicht; dort ist sogar eine Zunahme der Temperaturdifferenz möglich, weil der erhöhte Treibhauseffekt in niedrigen Breiten zu stärkerer Erwärmung in 10 Kilometern Höhe führt als in den hohen Breiten. Weder Untersuchungen mit gekoppelten Atmosphäre/Ozean/Land-Modellen noch die Analysen des Wetters der letzten Jahrzehnte geben einen signifikanten Trend bei diesen auch blockierend genannten Wetterlagen. Aus diesem Grund habe ich in der Zwischenüberschrift ein Fragezeichen gesetzt. Klar ist jedoch, dass die blockierende, also sich kaum bewegende Wetterlage mit einem sehr schwachen und stark mäandrierenden Strahlstrom in Mitteleuropa in diesem Juli bei jetzt höheren Temperaturen vielerorts Rekord-Niederschlagsmengen verursacht hat.

Hochreichende Konvektion als Verstärkungsfaktor bei Erwärmung

Der stark temperaturabhängige Wasserdampfgehalt der Luft und die generelle Temperaturabnahme mit der Höhe bedingen, dass bei hochreichender Konvektion – also an Tagen mit starker vertikaler Temperaturabnahme und/oder starker Sonneneinstrahlung – fast der gesamte Wasserdampfgehalt über einem Ort als Regen oder Hagel ausfallen kann. Im Hochsommer könnten so ohne Zusammenströmen von den Seiten in unseren Breiten bei Hitzewellen an einem Ort bis zu 40 Liter Regen pro Quadratmeter zusammenkommen. Die Rekordniederschlagsmengen liegen aber weit höher (in Deutschland z. B. bei 312 mm innerhalb 24 Stunden in Zinnwald-Georgenfeld im Erzgebirge am 12. August 2002), so dass das Einströmen von der Seite oder das erzwungene Aufsteigen bei Anströmung in Bergländern eine wesentliche Rolle spielen müssen.

Wie so oft sind eine langfristige und sorgfältige Beobachtung sowie die richtige Fragestellung bei der Auswertung der langfristigen Beobachtung erhellend: Nimmt mit der Erwärmung an der Oberfläche die Niederschlagsmenge bei konvektiven Niederschlägen, z. B. bei Gewittern, noch stärker zu als es die thermodynamischen Gleichungen vorgeben, gibt es also auch eine intensivierte Dynamik der Atmosphäre? Die Antwort lautet: Ja, die Auswertung langer Messreihen an inzwischen vielen Orten mittlerer Breiten zeigt, dass bei höheren Temperaturen in der unteren Atmosphäre die Regenmenge pro Ereignis bei intensiver Konvektion stärker zunimmt als mit den oben erwähnten 7% pro °C, nämlich um bis zu 13 bis 15% pro °C.  Es wird also bei noch intensiverer Aufwindgeschwindigkeit im Inneren der Konvektions- oder Gewitterzelle noch mehr des Wasserdampfes in die flüssige Phase und auch bei Hitzewellen oberhalb etwa 4 Kilometer Höhe in die Eisphase überführt und damit auch Sublimationswärme freigesetzt, wodurch in den unteren Schichten sowohl das Einströmen von der Seite intensiviert wird als auch die Konvektions- oder Gewitterzelle noch größere Höhen erreicht.

Steht dieses Grundwissen im Einzelfall für eine korrekte Vorhersage ausreichend genau zur Verfügung? Ist also das Startfeld für eine Wettervorhersage ausreichend genau bekannt und sind auch alle wichtigen Prozesse in der Atmosphäre in den Wettervorhersagemodellen soweit enthalten, dass auch neue Extremniederschläge wie im Juli 2021 örtlich und mengenmäßig korrekt vorhergesagt werden können? Haben die Wetterdienste diesen Härtetest bei der Vorhersage neuer Extreme bestanden?

Hohe Güte der Niederschlagsvorhersagen der Dienste

Steigt in Tiefdruckgebieten über großen Flächen Luft in der unteren Atmosphäre mit einigen Zentimetern pro Sekunde auf, dann fällt Dauerregen und dieser ist besonders ergiebig beim erzwungenen Aufsteigen an angeströmten Berghängen. Kommen eingelagerte Konvektionszellen hinzu, und ist es besonders warm, dann sind dort Rekordniederschläge fällig. Das bisher Geschilderte läuft in den horizontal immer besser die Topografie beachtenden und auch die Niederschlagsbildung in Konvektionszellen realistisch nachbildenden Wettervorhersagemodellen so nahe zur späteren Realität ab, dass z. B. das Europäische Zentrum für Mittelfristige Wettervorhersage in Reading, England, für bis zu 10 Tage und bis zu 3 Tage der Deutsche Wetterdienst (DWD) bei den jüngsten Hochwassern sehr gute Vorhersagen für Rekordniederschlagsmengen veröffentlichten. Also stimmten in den Modellen bei Vorlaufzeiten bis zu einigen Tagen nicht nur die Lage des sich wenig bewegenden Tiefdruckgebietes und die hohen Temperaturen sondern auch die eingelagerten Niederschlagsgebiete und die Gebiete hochreichender Konvektion. Die Basis für Warnungen vor einem Extremniederschlag war also korrekt. Was vielleicht nicht nur mir persönlich bei den bis zu 4 Tage vorher gegebenen Vorhersagen der Rekordniederschläge fehlte, war die Einordnung im Vergleich zu bisherigen Höchstwerten. Denn die vorhergesagten Niederschlagsmengen in den Gebieten maximaler Niederschläge waren neue Extreme mit Werten, die seit Beginn der regelmäßigen Messungen um 1880 noch nie aufgetreten waren. Als meine frühere Doktorandin, Dr. Katja Horneffer, im ZDF schon Tage vor dem Ereignis von Niederschlagsmengen bis zu 200 mm in 2 Tagen auf der Basis der Vorhersagen des DWD sprach, war mir klar, dass das für die Eifel und das benachbarte Belgien insgesamt neue Rekordwerte waren. Es hätten bei allen Katastrophenschutzinstitutionen nicht nur alle Warnlampen leuchten müssen, sondern jeder Bewohner in der Nähe von Bächen und Flüssen vor der Lebensgefahr durch verschiedene Medien gewarnt werden müssen – was z. B. durch den Europäischen Flutwarndienst (EFAS; European Flood Awareness System) ab Samstag, den 10. Juli 2021, an die Landesregierungen und den Bund geschah. In Deutschland gehen seine Meldungen an die Landesämter für Umwelt in Bayern, Hessen und Sachsen und an das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn. Das EFAS hat Ende der Woche vor Überflutungen für den Rhein in Deutschland und in der Schweiz sowie danach auch für die Maas in Belgien gewarnt.

Die schwierige Einordnung von Extremen in Zeiten rascher Klimaänderungen

Viele sprechen vom Jahrhunderthochwasser oder der Jahrhunderthitzewelle. Das ist strenggenommen nur dann ein korrektes Maß für Klimavariabilität, wenn sich die Mittelwerte des Klimas in Jahrhunderten nicht ändern. Wir leben aber in einer Zeit rascher vom Menschen verursachter Klimaänderungen durch einen systematisch sich weiter erhöhenden Treibhauseffekt der Atmosphäre. Weil sich dadurch die Temperatur an der Erdoberfläche weiter erhöhen muss, wird sich auch an jedem Ort die Wetterstatistik weiter ändern. Klimapolitik, also die Dämpfung der Emissionen und damit des Treibhauseffektes, hat bis zu einer globalen Wirkung lange Bremswege von mindestens einigen Jahrzehnten. Dies gilt auch für Niederschlagsextreme wie Dürren und Hochwasser, bei denen in vielen Regionen Änderungen der Statistik schon nachgewiesen sind. Es wird also in vielen Regionen immer wieder neue Niederschlagsrekorde geben und deren Bewohner müssen neue Pegelhöchststände mit zugehörigen Zerstörungen an Häusern und unangepasster Infrastruktur überleben. Es rächt sich jetzt, dass man von 1990 mit dem ersten Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses zu anthropogenen Klimaänderungen an die Regierungen bis fast heute mit dem völkerrechtlich verbindlichen Paris-Abkommen von 2016 kaum globale Klimapolitik betrieben hat. Denn seit 1990 ist allen Regierungen in immer neuen wissenschaftlichen Bewertungen durch die Vereinten Nationen zu anthropogenen Klimaänderungen klargemacht worden, dass die Klimaänderungen bei Nichtstun, d. h. fehlender drastischer Emissionsminderung, weiter zunehmen werden.

Für das Hochwasser an der Ahr im Jahre 2021 ist deshalb das ihm fast gleichkommende von 1804 kein Maß für die Einordnung des jetzigen, weil zurzeit wegen der laufenden raschen Klimaänderungen durch uns Menschen das Jahrhunderthochwasser nicht mehr wie früher definiert ist. Es war nur deshalb bisher ein hilfreicher Ratgeber, weil Klima wie früher bei der Einführung des Begriffs „Jahrhunderthochwasser“ im 19. Jahrhundert als grob stabil über Jahrhunderte angenommen wurde und auch angenommen werden durfte.

Die Hochwasser 2021 in Deutschland sind von Niederschlägen ausgelöst worden, die allerdings sehr weit von weltweit maximal möglichen Niederschlagsraten pro Stunde, pro Tag oder pro Woche entfernt sind.  Ein Beispiel: Der höchste bisher gemessene Tagesniederschlag liegt bei etwas über 1800 Litern pro Quadratmeter oder 1,8 Meter Wassersäule. Die neuen Rekorde in der Eifel liegen also unter einem Zehntel der weltweiten Rekordwerte. Die Rekordwerte des Niederschlags treten für Zeitabschnitte bis zu einigen Stunden in Gewittern auf, manchmal sind auch Orte mittlerer Breiten dabei, bei Tagen Dauer in tropischen Wirbelstürmen, bei Wochen bis Monaten im Indischen Monsun.

Wir müssen mit weiteren neuen Niederschlagsrekordwerten in den kommenden Jahrzehnten rechnen und kennen die Zuschläge und damit die Höhe der Schutzbauten durch die weiteren Klimaänderungen aber nur ungenau, auch weil sie erst in Jahrzehnten von der global koordinierten Klimapolitik gemindert werden können.

Wie sollen wir uns anpassen?

Völkerrechtlich verbindlich ist laut Paris-Abkommen von 2015 eine maximale mittlere globale Erwärmung wesentlich unter 2°C festgeschrieben. Dieses Ziel ist nur erreichbar durch eine rasche und drastische Minderung der Treibhausgasemissionen, bis etwa 2050 von den Hauptemittenten das Ende der Verbrennung aller fossiler Brennstoffe, zunächst der Kohle, aber auch mittelfristig des Erdöls und schließlich des Erdgases, erreicht wird. Dieser Ausstieg wird in manchen Ländern Energiewende genannt, aber die bisherige globale Klimapolitik ist davon in fast allen Ländern noch weit entfernt. Für Mitteleuropa bedeutet das erfolgreich umgesetzte Paris-Abkommen wegen der stärkeren Erwärmung in hohen mittleren Breiten etwa 3°C Erwärmung gegenüber dem Ende des 19. Jahrhunderts. Davon ist heute schon die Hälfte erreicht und daher müssen wir mit immer neuen Wetterextremen rechnen. Auch wenn das Paris-Abkommen (hoffentlich) eingehalten wird, heißt das mindestens im gesamten 21. Jahrhundert erhöhten Anpassungsdruck an neue Wetterextreme, insbesondere an Hitzewellen und Dürren im Sommerhalbjahr sowie Rekordniederschläge mit Sturzfluten und Hochwassern zu allen Jahreszeiten. Je langsamer die globale Energiewende vorankommt umso stärker wird der Anpassungsdruck an neue Wetterextreme noch darüber hinaus ansteigen. Wir müssen das nicht Beherrschbare durch Klimapolitik vermeiden und uns an das nicht mehr zu Vermeidende anpassen. Klimapolitik ist heute wesentlicher Teil der Außenpolitik. Durch die seit 1990 sehr zögerlichen oder untätigen Regierungen ist die Anpassungslast besonders hoch geworden.

Was heißt diese Anpassung für die EU, Bund, Bundesländer, Kommunen und jeden von uns?

Die Hochwasserkatastrophe in Mitteleuropa im Juli 2021 mit über 200 Todesopfern, vor allem in der Eifel, hat das erhöhte Überflutungsrisiko allen direkt oder indirekt vor Augen geführt. Das von anthropogenen Klimaänderungen ausgehende globale und vielfältige Risiko ist jetzt auch bei der bisher nicht allzu heftig betroffenen deutschen Bevölkerung angekommen. War man schon früher betroffen, hat das vergleichsweise reiche Land Schäden stärker kompensiert als fast alle anderen Länder, hat zum Teil mit erhöhten Schutzmaßnahmen reagiert und auch die Warnsysteme teilweise ertüchtigt. Das erhöhte Risiko durch die von uns ausgelösten Klimaänderungen drückt sich meist in neuen Wetterextremen aus mit Schäden in Landwirtschaft, an der Infrastruktur und persönlichem Eigentum. Es verursachte im Juli 2021 nach Schätzungen weit mehr als 5 Milliarden € Schäden an einen einzigen Tag mit neuen Niederschlagsrekorden in einer vergleichsweise kleinen Region. Da eine ähnliche Gefahr für viele andere Regionen mittlerer geografischer Breiten besteht, ist in vielen Ländern eine Fülle von Aufgaben und Baumaßnahmen zu schultern.

  • Neue, für jede Region durch Beteiligung vieler Institutionen zu erarbeitende Hochwasserrisikokarten,
  • dadurch stark ausgeweitetes Verbot des Bauens in alten und neuen Überflutungsgebieten,
  • durchgehende Warnsysteme der dafür autorisierten öffentlichen Institutionen wie der Deutsche Wetterdienst, die hydrologischen Dienste der Länder sowie EFAS,
  • Investitionen in Schutzbauten – in Anlehnung an den langfristigen Küstenschutz, der wegen des Meeresspiegelanstiegs durch die anthropogenen Klimaänderungen bereits einen dominanten Klimaänderungszuschlag bei Deichhöhen enthält –,
  • Rückbau möglichst vieler der kanalisierten Flüsse und Bäche in naturnahe Zustände,
  • weitere Schaffung von Überflutungszonen und Rückhaltebecken zur Kappung der Flutspitzen,
  • Finanzierung der Maßnahmen auch aus den Einnahmen der Kohlendioxidbepreisung,
  • jährliche Hochwasserschutzübungen,
  • hochwassersichere Brücken,
  • Umsiedlungsangebot für Häuser mit besonderer Gefahrenlage,
  • Schulcurricula mit Klimaänderungsmodul in mehreren Fächern,
  • Klimaschutzmaßnahmen beim Wiederaufbau, z. B. Erdsonden statt Öltanks.

Zusammengefasst: Abschied von der Dominanz ökonomischer Argumente bei der Regionalentwicklung. Eine nachhaltige Entwicklung ist nur durch ganzheitliche Ökologie zu erreichen, in der die Mitlebewesen beachtet werden, der Unterschied zwischen Arm und Reich vermindert wird und die wirtschaftliche Entwicklung sich einfügt.

Prof. Dr. Hartmut Graßl
Prof. Dr. Hartmut Graßl
Hartmut Graßl ist emeritierter Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie und ehemaliger Professor der Universität Hamburg. Neben seiner Funktion als Co-Vorsitzender der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) e.V. ist er in verschiedenen wissenschaftlichen, wissenschaftspolitischen und wirtschaftlichen Grämien tätig. Auch ist er Herausgeber der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Theoretical and Applied Climatology“ und Mit-Herausgeber des Online-Magazins „klimareporter°“. Zuvor war Hartmut Graßl u. a. Mitglied und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates Globale Umweltveränderungen (WBGU) der Deutschen Bundesregierung, Mitglied von Enquête-Kommissionen zum Schutz der Erdatmosphäre des Deutschen Bundestages, Direktor des Weltklimaforschungsprogramms (WCRP) sowie von 2007 bis 2015 Vorsitzender des Bayerischen Klimarates. Für seine Verdienste erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den Deutschen Umweltpreis der DBU und das Große Bundesverdienstkreuz am Bande der BRD.