*Der Beitrag spiegelt die persönliche Meinung des Autors wider und entspricht nicht zwangsweise der Meinung der VDW.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat am 29. April 2021 die Bundesregierung aufgefordert, das Klimaschutzgesetz der Bundesrepublik Deutschland, das nur bis 2030 Klimaschutz mit moderaten Reduktionszahlen für bestimmte Sektoren wie Heizung von Gebäuden und den Verkehr belegt, wegen verfassungswidrig zu hoher Belastung der jungen Generation mindestens für die Zeit nach 2030 nachzubessern, und zwar bis spätestens 2022. Die bisher fast immer erfolgreiche fossile Lobby, die in Deutschland im Stromsektor mit Stein- und Braunkohlekraftwerken nicht nur die größten Treibhausgas-Emittenten besitzt und mit diesen Klimasünden gut verdient hat, sondern auch durch Erdölprodukte im Verkehrssektor bisher fast überhaupt nicht emissionsmindernd war, hat damit eine unerwartete Niederlage erlitten. Viele Umweltverbände, Bürger und ich frohlocken.

Aber auch ein im Sinne des Grundgesetzes verschärftes deutsches Klimaschutzgesetz, das die Last auf der jüngeren Generation mindert, und das damit vielleicht sogar hilft, das völkerrechtlich verbindliche Paris-Abkommen einzuhalten, beseitigt auch dann das generelle Zuspätkommen beim globalen Klimaschutz nicht.  Denn der anthropogene Zuschlag bei den Temperaturen und die daraus folgende Umverteilung des Niederschlags wird über Jahrhunderte allen nachkommenden Generationen zunächst noch wachsende Lasten aufbürden, wie z. B. heftigere und längere Hitzewellen und extreme Niederschläge. Das zentrale Ziel des Paris-Abkommens „wesentlich unter 2°C“ für die Erhöhung der mittleren Lufttemperatur in Erdoberflächennähe ist für die hohen nördlichen Breiten mit einem etwa dreifach höheren Wert verbunden. Es wird zum verstärkten Abschmelzen des Inlandeises in Grönland über mindestens Jahrhunderte führen und den weniger gut abschätzbaren Beitrag durch die großen Eisströme der Antarktis nicht klein halten. Alle diese Schmelzwasser werden sich wegen dadurch geringerer Erdanziehung überwiegend in den Tropen anhäufen und dort den Meeresspiegel um Meter erhöhen. Die Menschen in den Millionenstädten in den Tropen müssen als nur wenig zur Klimaänderung Beitragende als Erste in großer Zahl vor den Fluten weichen und viele werden bei Extremereignissen ertrinken.

Für mich ist nach dem Paukenschlag aus Karlsruhe zentral wie Gerichte anderer Länder richten werden. Noch Ende März hat der Europäische Gerichtshof die Klage von zehn Familien für höhere Klimaschutzziele der Europäischen Union als unzulässig abgewiesen, weil ein Individuum nicht gegen EU-Gesetze, die alle betreffen, klagen könne. Nur in den Niederlanden hat bisher das höchste Gericht Ende 2019 die Regierung zu mehr Klimaschutz verpflichtet.

Am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist von sechs Kindern und Jugendlichen aus einer von Waldbränden verheerten Region Portugals eine Klage gegen 33 europäische Länder anhängig. Da das Gericht die Regierungen relativ rasch zu einer Stellungnahme aufgefordert hat, die bis 27. Mai 2021 eingehen muss, hoffen die Kläger auf eine baldige Rechtsprechung natürlich in ihrem Sinne.

Gibt es eine Möglichkeit über die bisherigen Ziele des Paris-Abkommens hinaus Klimaschutzpolitik zu treiben und der Atmosphäre Kohlendioxid auf natürliche Weise zu entziehen? Ja, indem mit der Umstellung der Energieversorgung auf Sonne und Wind auch das Wissen über den globalen Kohlenstoffkreislauf genützt wird und der Kohlenstoffspeicher Böden gezielt vergrößert wird. Das heißt Humus bildende landwirtschaftliche Praktiken, Ende der Abholzung und veränderte Waldbewirtschaftung, Aufforstung sowie Erhaltung oder Wiedervernässung der Moore. Dazu sind für eine globale Wirkung zusätzliche Protokolle zum Paris-Abkommen nötig.

Auch muss bei jetzt erreichten sehr niedrigen Kosten für Strom aus Solarzellen die noch immer subventionierte Nutzung nicht erneuerbarer Energieträger rasch beendet werden. Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas hat uns ein globales Klimaproblem über mindestens Jahrhunderte eingebrockt, weitere Kernenergienutzung führt zu weiteren unbewohnbaren Regionen und zwänge uns noch mehr gefährlich strahlenden Müll über Jahrhundertausende zu bewachen und schließlich unerreichbar tief in der Erdkruste zu lagern.

Prof. Dr. Hartmut Graßl
Prof. Dr. Hartmut Graßl
Hartmut Graßl ist emeritierter Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie und ehemaliger Professor der Universität Hamburg. Neben seiner Funktion als Co-Vorsitzender der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) e.V. ist er in verschiedenen wissenschaftlichen, wissenschaftspolitischen und wirtschaftlichen Grämien tätig. Auch ist er Herausgeber der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Theoretical and Applied Climatology“ und Mit-Herausgeber des Online-Magazins „klimareporter°“. Zuvor war Hartmut Graßl u. a. Mitglied und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates Globale Umweltveränderungen (WBGU) der Deutschen Bundesregierung, Mitglied von Enquête-Kommissionen zum Schutz der Erdatmosphäre des Deutschen Bundestages, Direktor des Weltklimaforschungsprogramms (WCRP) sowie von 2007 bis 2015 Vorsitzender des Bayerischen Klimarates. Für seine Verdienste erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den Deutschen Umweltpreis der DBU und das Große Bundesverdienstkreuz am Bande der BRD.