auf dem Symposium „Wir sind dran“ anlässlich des 80. Geburtstags von Ernst Ulrich von Weizsäcker

Sehr geehrter, lieber Ernst Ulrich von Weizsäcker,
Sehr geehrte Damen und Herren,

„Come on!“ lautet der englische Titel Deines jüngsten Buchs. Ein cooler Spruch, hinter dem ich – ehrlich gesagt – eher einen Teenager vermuten würde, als einen 80jährigen Professor. Dieses jugendliche Infragestellen von Selbstverständlichem, die Ungeduld und das Visionäre, das macht Dein Wirken aus, lieber Ernst-Ulrich.

Heute stehen die Jugendlichen auf der Straße und fordern, was Du seit Jahrzehnten sagst: Hört endlich auf damit, auf Kosten unserer Zukunft zu leben! Schont unsere begrenzten Ressourcen! Beachtet die planetaren Grenzen! Du bist einer der Wenigen, die das schon gefordert haben, als die Eltern der heutigen Fridays-for-Future-Kids noch in den Windeln lagen – und der Samstag noch ein regulärer Schultag war.

Du bist damit eine Inspiration für Generationen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, für Umweltschützerinnen und Umweltschützer, für Ingenieurinnen und Ingenieure und unzählige andere – viele davon sind heute hier.

Lieber Ernst Ulrich,

Wahrscheinlich sind Dir heute schon alle Komplimente gemacht worden, die man einem brillanten Wissenschaftler nur machen kann. Als Umweltministerin füge ich hinzu: Du bist nicht nur brillanter Wissenschaftler, sondern seit mehr als 40 Jahren Vordenker und Antreiber der deutschen und internationalen Umweltpolitik. Deine Thesen waren prägend für die umweltpolitischen Debatten dieses Landes. Und sind es bis heute.

Was hat Deinen Einfluss auf die Umweltpolitik über all die Jahre ausgemacht? Anhand von fünf Faktoren will ich das erläutern:

Faktor Nummer eins: Du bist Visionär und Vordenker.
Heute arbeite ich als Umweltministerin daran, die Bepreisung von CO2 durchzusetzen, die ökologische Steuerreform voran zu treiben, die Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft attraktiver zu machen. Thesen dazu hast Du schon in den 70er, 80er Jahren entwickelt. Und das Erstaunliche daran: Sie sind immer noch hochaktuell.
Ich bin zuversichtlich, dass wir uns in der Bundesregierung dieses Jahr darauf einigen, den CO2-Ausstoß endlich auch im Gebäude- und Verkehrssektor mit einem Preisschild zu versehen. Und Maßnahmen beschließen, mit denen wir im Verkehrssektor, bei den Gebäuden, bei der Energieerzeugung und der Landwirtschaft unsere Klimaziele erreichen. Die Maßnahmen und Politikinstrumente, die wir dafür brauchen, die Technologien, die dabei zum Einsatz kommen, für diese wirbst Du schon seit Jahrzehnten: Passivhäuser, 2-Liter Autos, LED-Lampen, Kreislaufwirtschaft.
Nicht nur für den Klimaschutz, auch für andere Teile der Umweltpolitik ist Deine Arbeit prägend. Ich denke da vor allem an die Ressourceneffizienz. Die Ressourceneffizienz hat mein Ministerium in den letzten Jahren auf nationaler Ebene vorangebracht – unter anderem durch das Deutsche Ressourceneffizienzprogramm ProgRess. Und wir haben das Thema international auf die Tagesordnung gesetzt, bei den G7 und G20. Das „International Resource Panel“ hat dabei eine ganz entscheidende Rolle gespielt – Du hast es mitbegründet und viele Jahre als Ko-Vorsitzender geleitet.

Der zweite Faktor für Deinen Einfluss auf die Umweltpolitik: Du bist radikal und gleichzeitig Realist.
Als Pionier und Vordenker wirst Du heute bewundert. Das war nicht immer so. Denn Du warst mit Deinen Ideen stets Deiner Zeit voraus:

  • Du hast dafür argumentiert, der Globalisierung Grenzen zu setzen, als alle Welt im Globalisierungsfieber der Deregulierung, Privatisierung und Liberalisierung huldigte.
  • Du hast die Bändigung des Finanzmarktkapitalismus gefordert, lange bevor die Finanzkrise über uns hereinbrach.
  • Du hast die Effizienzrevolution gefordert, als selbst Energiesparlampen noch als exotisch galten.

Du hast damit Recht behalten: Was damals als radikal galt, gilt heute als notwendig. Wir arbeiten in der Bundesregierung daran, bis 2050 in einem klimaneutralen Land zu leben. Dafür brauchen wir eine grundlegende Transformation, radikale Veränderungen, revolutionäre Technologien. Dein Beispiel zeigt, dass radikal und utopisch erscheinende Forderungen manchmal die realistischsten und vernünftigsten sind.
Für Deine innovativen Ideen habe ich dir als Wissenschaftsministerin in NRW im Jahr 2011 den Ehrenpreis des Innovationspreises des Landes NRW verliehen. Damals habe ich gesagt: „Er ist ein Effizienzrevolutionär und hat der modernen Industriegesellschaft ganz neue Wege aufgezeigt“. Das auch nach acht Jahren weiterhin richtig.

Und das macht den dritten Faktor aus, den ich heute hervorheben möchte: Du bist ein Problem-Löser.
Probleme sind der Ausgangspunkt Deiner Überlegungen, lieber Ernst-Ulrich, aber nicht ihr Endpunkt. Du benennst konkrete Lösungen, zeigst Auswege aus den Krisen der heutigen Zeit. Deine Bücher beginnen mit der ungeschminkten Problemanalyse und enden mit dem Lösungsweg. Deine Vorträge lassen uns mit dem Gefühl zurück: Wir haben ein Problem, aber die Lösungen liegen auf der Hand! Lasst es uns anpacken! Du aktivierst, statt angesichts der Schreckensszenarien zu resignieren. Das zieht mit. Du bist damit zu einem Motivator und Wegbereiter für den Umweltschutz geworden. Meine Arbeit als Umweltministerin wäre schwieriger ohne Deine Pionierarbeit.
Ich vermute, was heute im Klimakabinett diskutiert wird, geht Dir, Ernst Ulrich, nicht weit genug. Du hast immer für die Bepreisung des gesamten Ressourcen- und Energieverbrauchs argumentiert, nicht nur des CO2-Ausstoßes. Du forderst eine Steigerung der Ressourceneffizienz um den Faktor fünf oder mehr. Soweit sind wir – leider – noch nicht.
Gleichzeitig ist richtig: Die Wissenschaft, und darunter zu einem guten Teil Deine Arbeit, hat den Weg dafür bereitet, dass der Klimaschutz heute ganz oben auf der politischen Agenda steht. Dass die Umweltkrisen unserer Zeit der Breite der Bevölkerung bewusst sind.
Ich bewundere dabei Deine unglaubliche Geduld mit all dem Beharrungsvermögen, dem Unverständnis und dem Widerstand gegen den notwendigen Wandel. Deine Geduld scheint wirklich unerschöpflich. Dein Engagement ist trotz allem ungebrochen geblieben. Daran dürfen wir uns alle ein Beispiel nehmen!

Das führt mich zum vierten Faktor: Du bist Wissenschaftler und Politiker von ganzem Herzen.
Der Wissenschaftler im Elfenbeinturm ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was Du verkörperst. Denn Du stehst für interdisziplinäre und politiknahe Forschung – mitten im Leben. Beim Club of Rome, beim Wuppertal Institut, bei der Bren School in Kalifornien. Die Umweltpolitik erhält aus diesen Gremien nach wie vor wichtige und kritische Impulse. Das Wuppertal Institut, das Du aus dem Nichts aufgebaut hast, ist weltweit bekannt und entwickelt nach wie vor Visionen für wirksamen Klima- und Ressourcenschutz. Und das von Dir gegründete Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft ist Teil des wissenschaftlichen Konsortiums, das derzeit für mein Ministerium Vorschläge zur sozialgerechten Umsetzung eines CO2-Preises erarbeitet.
Du hast viele Jahre Deines Lebens selbst aktiv Umweltpolitik betrieben. Als Vorsitzender des Umweltausschusses des Deutschen Bundestags, Mitglied der Enquete Kommission Globalisierung. In unserer Partei gehörtest Du damit nicht immer zum Mainstream, hast vielen als Querdenker gegolten. Aber zunehmend erkennen wir, dass die Umweltkrise DAS Zukunftsthema ist, das sozialdemokratischer Antworten bedarf.
Und ich will an dieser Stelle ergänzen: Deine Thesen hätten schon früher das politische Profil unserer Partei prägen sollen. Dann stünden wir heute ein ganzes Stück besser da.

Faktor Nummer fünf: Du warst zwar stets Deiner Zeit voraus, hast aber gleichzeitig darauf geachtet, die Menschen mit zu nehmen. Deine Idee der „Neuen Aufklärung im Zeitalter des Anthropozän“ nimmt als Ausgangspunkt die Überlastung der Umwelt, der Ressourcen. Aber sie stellt den Menschen in den Mittelpunkt. Das ist der Kern sozialdemokratischer Umweltpolitik. Wie Du es formulierst: Wir müssen die Kilowattstunden arbeitslos machen – nicht die Menschen. Wir sprechen nicht nur darüber, wie viele Tonnen CO2 wir einsparen wollen, wie viele Gigawatt Leistung wir abschalten. Wir achten darauf, dass Deutschland die Umwelt schützt und gleichzeitig Industrieland bleibt, dass es sozial gerecht zugeht dabei. Dieses Motiv ist Kern Deiner Arbeit.

Lieber Ernst Ulrich,

Ich habe mich als Umweltministerin jetzt konzentriert auf Dein Engagement zum Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das soll Dein breites Engagement für eine friedlichere, tolerantere und menschlichere Welt nicht ausblenden. Ich will es an dieser Stelle ganz ausdrücklich betonen: Du stehst für eine Welt mit weniger Rüstung und militärischen Bedrohungen. Eine Welt, in der der Kapitalismus gezähmt wird und in der das Individuum mit seiner unveräußerlichen Würde Mittelpunkt allen Handelns ist. Eine Welt, in der es sich zu leben lohnt und für die es sich zu kämpfen lohnt. Ich bin mir sicher, Deine Ideen werden uns auch in Zukunft umtreiben. Nicht umsonst heißt Dein aktuelles Buch auf Deutsch „Wir sind dran“.

Du gehörst einer Generation an, in der ein altväterliches „Deine Eltern können stolz auf dich sein“ als ultimatives Lob gilt. Das trifft sicher zu. Aber für Dich gilt auch: „Deine Kinder, Deine Enkel und Urenkel werden stolz auf dich sein.“ Du hast Dein Leben lang an einer besseren Welt für sie gearbeitet. Mit Erfolg. Dafür mein ganz herzlicher Dank.

Svenja Schulze redet auf dem VDW Symposium WIr sind dran 2019
Svenja Schulze Vision auf dem VDW Symposium Wir sind dran 2019

Vision von Svenja Schulze: „In meiner Vision haben wir den Klimawandel ernst genommen und die Treibhausgase radikal reduziert: Das Leben in den Städten ist ohne Verbrennungsmotor deutlich angenehmer, mehr Stadtgrün holt die Natur zurück. Der ländliche Raum brummt und summt, weil wir die Artenvielfalt erhalten und die Chancen der Digitalisierung nutzen. So ist attraktives Leben und Arbeiten in der Stadt und auf dem Land selbstverständlich.“
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