auf dem Symposium „Wir sind dran“ anlässlich des 80. Geburtstags von Ernst Ulrich von Weizsäcker

Es gibt ein Phänomen der Wissenschaftsgeschichte, das heutzutage fast als ausgestorben gilt: den Universalgelehrten. Also Wissenschaftler, die sich auf verschiedenen Gebieten der Wissenschaft ungewöhnlich gut auskennen – Leonardo da Vinci natürlich, Alexander von Humboldt, Gottfried Wilhelm Leibniz. Universalgelehrte gibt es seit dem 20. Jahrhundert wohl nicht mehr wirklich, weil die Wissenschaften sich immer mehr spezialisierten und es heute kaum mehr möglich ist, sich in allen Gebieten auch nur der eigenen Disziplin auszukennen.

Wenn Sie jetzt denken „Oha, der Köhler fährt hier aber ganz schwere Geburtstagsfeiern-Rhetorik auf, der will den von Weizsäcker mit Leonardo da Vinci vergleichen“, dann muss ich Sie leider enttäuschen. Ganz so pathetisch wird es heute Abend nicht (zumindest nicht von meiner Seite – ich weiß ja nicht, was Eckart von Hirschhausen im Gepäck hat).

Aber dennoch habe ich mein Grußwort mit „Der Universalgelehrte“ übertitelt. Weil Ernst Ulrich von Weizsäcker ein Gelehrter ist, also viel mehr als nur ein Wissenschaftler, und weil er einen Blick für das Universale hat wie kaum ein anderer. Er sieht den Planeten als Ganzen, in seiner physikalischen, biologischen, aber eben auch sozialen Realität. Er sieht die Menschheit als Ganze, nicht nur einen kleinen, privilegierten Teil von ihr. Und er sieht Gesellschaft als Ganze – Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Zivilgesellschaft, zwischen diesen oft getrennten Sphären flitzt er scheinbar mühelos hin und her, bringt Impulse aus der einen Sphäre in die andere, und fungiert nicht selten als Übersetzer zwischen ihren sehr unterschiedlichen Denklogiken. Dass er die Zukunft der Ökologie und die Zukunft der Demokratie in einem Zusammenhang sieht, das zeigt, wie sehr er in gesamtgesellschaftlichen Kategorien denkt, und eben nicht in den Silos unseres Wissenschafts- und Politiksystems, die allzu oft in Selbstreferenzialität erstarrt sind.

Ernst Ulrich von Weizsäcker ist dabei ein Gelehrter im allerbesten Sinne: er weiß wovon er spricht, aber er hört nie auf, selbst zu lernen, neugierig zu sein, neue Querverbindungen zu entdecken. Und er fürchtet sich nicht davor, seine Erkenntnisse dann auch weiterzugeben, und zwar allen, die die Botschaft hören müssen, nicht nur jenen aus der eigenen Community, von denen Beifall zu erwarten ist. Er bringt dabei das Kunststück fertig, gleichzeitig ein Mahner und ein Suchender zu sein, also zu zeigen, wo der Weg hingehen sollte, ohne dabei so zu tun, als hätte er alle Antworten parat.

Auch mir hat er seine Erkenntnisse weitergegeben: schon in den 90ern hatte ich fasziniert sein Buch „Faktor 4“ gelesen. Erst als Bundespräsident begegnete ich dann Ernst Ulrich von Weizsäcker auch in Fleisch und Blut. Er war mit einer Delegation des Club of Rome im Bellevue zu Gast, da war er noch nicht der Präsident gewesen, doch es war zu spüren, dass er eine Energie und ein Wissen und ein Kommunikationsvermögen besitzt, das der wachstumskritische Diskurs dringend nötig hatte, der damals im Zuge der Finanzkrise in die Defensive geraten war. Dass, und wie, wir heute mit einer ganz anderen gesellschaftlichen Mehrheit über Klimawandel diskutieren, das ist nicht zuletzt auch sein Verdienst.

Er kommt manchmal ganz harmlos daher, mit seiner ihm eigenen Mischung aus niedersächsischer Nüchternheit und südbadischem Charme, aber wenn man ihm dann zuhört und seine Leidenschaft und Ungeduld durchblitzt, dann wird klar, dass Ernst Ulrich von Weizsäcker keinen Wellness-Wandel verkauft. Er fordert echte, tiefgreifende Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft, eine andere Art nicht nur des Wirtschaftens, sondern auch des Lebens. Sein Ruf nach einer neuen Aufklärung macht dabei deutlich, dass diese Veränderungen vor allem auch im Denken stattfinden müssen – dann aber, wie schon im 18. Jahrhundert, einen neuen Sprung der Menschheit ermöglichen könnten.

Ernst Ulrich von Weizsäcker erschrickt sich nicht davor, manchmal auch zu erschrecken, aber er weiß, dass am Ende der Mut und nicht die Angst der entscheidende Treiber von Veränderungen ist: sein Buch „Faktor 5“, zum Beispiel, zeigte auf, wie mit dem Einsatz neuer Technologien Wohlstand und Lebensqualität wachsen können, und zwar ohne den Planeten zu zerstören. Von Weizsäcker kämpft gegen das lähmende Paradigma der Alternativlosigkeit und gegen das gefährliche Narrativ des Kontrollverlusts und macht immer wieder klar: Wir sind nicht einer apokalyptischen Zukunft ausgeliefert. Es gibt Optionen. Wir können handeln.

Meine Damen und Herren, lieber Herr von Weizsäcker,

ich bin gerne gekommen, um diesen Geburtstag mit Ihnen zu feiern, weil wir in diesem gigantischen Suchprozess, in dem die Menschheit gerade steckt, mit all den Irrungen und Umbrüchen, die wir gerade erleben – weil wir in diesem Prozess Menschen brauchen, Geschichten brauchen, die uns Mut machen. Ernst Ulrich von Weizsäcker war und ist ein solcher Mensch. Er ermutigt uns alle, hartnäckig zu bleiben. Visionär zu sein. Nicht auf halbem Wege kehrt zu machen.

Dafür sagen wir alle heute: Danke. Ich meine das auch ganz persönlich. Ich habe viel von Ihnen gelernt. Und es ehrt mich, dass ich meine eigene Dankbarkeit Ihnen gegenüber heute im Namen von allen hier Versammelten ausdrücken darf.

Sie sind ein bescheidener, unprätentiöser Mensch und wir ahnen, dass es nicht einfach für Sie ist, die Aufmerksamkeit des heutigen Tages zu ertragen. Aber da müssen Sie durch, denn unser Dank an Sie drückt auch unsere Hoffnung aus, dass eine bessere, nachhaltige Welt möglich ist; eine Hoffnung, die Sie Zeit Ihres reichen Lebens genährt haben.

Bleiben Sie uns erhalten – als Gelehrter des Universalen, der uns Mut macht und Vorbild ist.

Alles Gute zum Geburtstag, lieber Ernst Ulrich von Weizsäcker – ad multos annos!

Horst Koehler, Bundespraesident a.D., VDW-Symposium Wir sind dran
Kunstbild VDW Symposium Wir sind dran

Vision von Horst Köhler: „Die Menschheit steht vor zwei historischenAufgaben: die extreme Armut auszurotten und die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten. Das eine darf nicht auf Kosten des anderen gehen. Deshalb brauchen wir eine Transformation unserer Wirtschaften und Gesellschaften. Denn der westliche Lebensstil ist so ressourcenintensiv, dass er nicht auf die gesamte Weltbevölkerung übertragen werden kann.“
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